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Vorlesungen über die Philosophie der Religion

 

β. Die Erscheinung und Auffassung des Göttlichen

Die Gestaltung, die der Gott in seiner Erscheinung und Manifestation an den endlichen Geist gewinnt,
hat zwei Seiten.
Der Gott tritt nämlich in die Äußerlichkeit, wodurch eine Teilung und ein Unterscheiden hervorgeht, welches sich so bestimmt, daß es zwei Seiten des Erscheinens sind, deren eine dem Gott, die andere dem endlichen Geiste zukommt.
Die Seite, welche dem Gott zukommt, ist sein Sichoffenbaren, sein Sichzeigen. Nach dieser Seite kommt dem Selbstbewußtsein nur das passive Empfangen zu. Die Weise dieses Zeigens findet vorzüglich für den Gedanken statt; das Ewige wird gelehrt, gegeben und ist nicht durch die Willkür des Einzelnen gesetzt.
Der Traum, das Orakel sind solche Erscheinungen. Die Griechen haben alle Formen hierin gehabt.
So ist z. B. ein Götterbild vom Himmel gefallen, oder ein Meteor oder Donner und Blitz gilt als Erscheinung des Göttlichen; oder dies Erscheinen als die erste und noch dumpfe Ankündigung für das Bewußtsein ist das Rauschen der Bäume, die Stille des Waldes, worin Pan gegenwärtig ist.

Indem diese Stufe nur die Stufe der ersten Freiheit und Vernünftigkeit ist, so erscheint also die geistige Macht entweder in äußerlicher Weise, und darin ist die natürliche Seite begründet, womit dieser Standpunkt noch behaftet ist; oder sind die Gewalten und Gesetze, die sich dem Innern ankündigen, geistige und sittliche, so sind sie zunächst, weil sie sind, und man weiß nicht, von wannen sie kommen.

Die Erscheinung ist nun die Grenze beider Seiten, welche sie scheidet und zugleich aufeinander bezieht.
Im Grunde aber kommt die Tätigkeit beiden Seiten zu, welches wahrhaft zu fassen freilich große Schwierigkeit macht. Diese Schwierigkeit kommt auch später bei der Vorstellung von der Gnade Gottes wieder vor.
Die Gnade erleuchtet das Herz des Menschen, sie ist der Geist Gottes im Menschen, so daß der Mensch bei ihrem Wirken als passiv vorgestellt werden kann, so daß es nicht seine eigene Tätigkeit ist. Im Begriff ist aber diese gedoppelte Tätigkeit als eine zu fassen. Hier auf der gegenwärtigen Stufe ist diese Einheit des Begriffs noch nicht gesetzt, und die Seite der produktiven Tätigkeit, die auch dem Subjekte zukommt, erscheint als selbständig für sich in der Art, daß das Subjekt die Erscheinung des Göttlichen mit Bewußtsein als sein Werk hervorbringt. Das Selbstbewußtsein ist es, welches das zunächst Abstrakte, sei es innerlich oder äußerlich, auffaßt, erklärt, bildet und zu dem, was als Gott gilt, produziert. 

Die Naturerscheinungen oder dies Unmittelbare, Äußerliche sind aber nicht Erscheinung in dem Sinne, daß das Wesen nur ein Gedanke in uns wäre, wie wir von Kräften der Natur sprechen und von deren Äußerungen. Hier ist es nicht an den Naturgegenständen selbst, nicht objektiv an ihnen als solchen, daß sie als Erscheinungen des Innern existieren; als Naturgegenstände existieren sie nur für unsere sinnliche Wahrnehmung, und für diese sind sie nicht Erscheinung des Allgemeinen. So ist es z. B. nicht am Lichte als solchem, daß sich der Gedanke, das Allgemeine kundgibt; beim Naturwesen müssen wir vielmehr erst die Rinde durchbrechen, hinter welcher sich der Gedanke, das Innere der Dinge verbirgt.

Sondern das Natürliche, Äußerliche soll an ihm selbst zugleich, soll in seiner Äußerlichkeit als Aufgehobenes und an ihm selbst als Erscheinung gesetzt sein, so daß sie nur Sinn und Bedeutung hat als Äußerung und Organ des Gedankens und des Allgemeinen. Der Gedanke soll für die Anschauung sein; d. h. was geoffenbart wird, ist einerseits die sinnliche Weise, und dasjenige, was wahrgenommen wird, ist zugleich der Gedanke, das Allgemeine. Es ist die Notwendigkeit, die auf göttliche Weise erscheinen, d. h. in dem Dasein als Notwendigkeit in unmittelbarer Einheit mit demselben sein soll. Das ist die gesetzte Notwendigkeit, d. h. die daseiende, die als einfache Reflexion-in-sich existiert.

Die Phantasie ist nun das Organ, mit dem das Selbstbewußtsein das innerlich Abstrakte oder das Äußerliche, das erst ein unmittelbar Seiendes ist, gestaltet und als Konkretes setzt. In diesem Prozeß verliert das Natürliche seine Selbständigkeit und wird zum Zeichen des inwohnenden Geistes herabgesetzt, so daß es nur diesen an sich erscheinen läßt.

Die Freiheit des Geistes ist hier noch nicht die unendliche des Denkens, die geistigen Wesenheiten sind noch nicht gedacht; wäre der Mensch denkend, so daß das reine Denken die Grundlage ausmachte, so gäbe es nur einen Gott für ihn. Ebensowenig aber findet der Mensch seine Wesenheiten als vorhandene, unmittelbare Naturgestalten vor, sondern bringt sie für die Vorstellung hervor, und dies Hervorbringen als die Mitte zwischen dem reinen Denken und der unmittelbaren Naturanschauung ist die Phantasie.

So sind die Götter von menschlicher Phantasie gemacht, und sie entstehen auf endliche Weise, vom Dichter, von der Muse produziert. Diese Endlichkeit haben sie an sich, weil sie ihrem Gehalte nach endlich sind und ihrer Besonderheit nach auseinanderfallen. Erfunden sind sie vom menschlichen Geiste nicht ihrem an und für sich vernünftigen Inhalte nach, aber so, wie sie Götter sind. Sie sind gemacht, gedichtet, aber nicht erdichtet. Sie gehen zwar im Gegensatze gegen das Vorhandene aus der menschlichen Phantasie hervor, aber als wesentliche Gestalten, und das Produkt ist zugleich als das Wesentliche gewußt. So ist es zu verstehen, wenn Herodot sagt: Homer und Hesiod haben den Griechen ihre Götter gemacht.*)
Dasselbe konnte auch von jedem Priester und erfahrenen Greis gesagt werden, der im Natürlichen die Erscheinung des Göttlichen und der wesentlichen Mächte zu verstehen und zu deuten wußte.

Als die Griechen das Rauschen des Meeres hörten bei der Leiche des Achill, da ist Nestor aufgetreten und hat es so gedeutet: das sei Thetis, die an der Trauer teilnehme. So sagt Kalchas bei der Pest, daß Apoll, erzürnt über die Griechen, es getan habe. Diese Auslegung heißt eben, die natürliche Erscheinung gestalten, ihr die Gestalt eines göttlichen Tuns geben. Ebenso wird das Innere gedeutet: beim Homer will z. B. Achill sein Schwert ziehen, er faßt sich aber und hemmt seinen Zorn; diese innere Besonnenheit ist Pallas, die den Zorn hemmt. Aus dieser Deutung entstanden jene unzähligen anmutigen Geschichten und die unendliche Menge der griechischen Mythen.

Von allen Seiten her, nach denen wir das griechische Prinzip nur betrachten können, dringt in dasselbe das Sinnliche und Natürliche ein. Die Götter, wie sie aus der Notwendigkeit heraustreten, sind beschränkt und haben auch deshalb noch den Anklang des Natürlichen an sich, weil sie ihren Hervorgang aus dem Kampf mit den Naturgewalten verraten; ihre Erscheinung, mit der sie sich dem Selbstbewußtsein ankündigen, ist noch äußerlich, und auch die Phantasie, welche diese Erscheinung bildet und gestaltet, erhebt ihren Ausgangspunkt noch nicht in den reinen Gedanken. Wir haben nun zu sehen, wie dies natürliche Moment vollends zur schönen Gestalt verklärt wird.

*) Herodot II, 53

 

Vorlesungen über die Philosophie der Religion Inhalt

C. Einteilung

I. Die Religion der Erhabenheit


1. Die allgemeine Bestimmung des Begriffs
2. Die konkrete Vorstellung

a. Die Bestimmung der göttlichen Besonderung
b. Die Form der Welt
c. Der Zweck Gottes mit der Welt

3. Der Kultus
Übergang zur folgenden Stufe


II. Die Religion der Schönheit


1. Der allgemeine Begriff dieser Sphäre

2. Die Gestalt des Göttlichen

a. Der Kampf des Geistigen und Natürlichen
b. Die gestaltlose Notwendigkeit
c. Die gesetzte Notwendigkeit oder die besonderen Götter, deren Erscheinung und Gestalt
 
α. Die Zufälligkeit der Gestaltung
 
β. Die Erscheinung und Auffassung des Göttlichen

 
γ. Die schöne Gestalt der göttlichen Mächte


3. Der Kultus

a. Die Gesinnung
b. Der Kultus als Dienst
c. Der Gottesdienst der Versöhnung


III. Die Religion der Zweckmäßigkeit oder des Verstandes

1. Begriff dieser Stufe
2. Diese Religion als die römische
3. Der Kultus


Dritter Teil. Die absolute Religion
 

Schönheit

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