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G.W.F. Hegel
Vorrede zu Hinrichs' Religionsphilosophie
[1822]
Der Gegensatz von Glauben und Vernunft, der das Interesse von Jahrhunderten beschäftigt hat, und nicht bloß das Interesse der Schule, sondern der Welt, kann in unserer Zeit von seiner Wichtigkeit verloren zu haben, ja beinahe verschwunden zu sein scheinen. Wenn dem in der Tat so wäre, so würde vielleicht unserer Zeit hierüber nur Glück zu wünschen sein. Denn jener Gegensatz ist von dieser Natur daß der menschliche Geist sich von keiner der beiden Seiten desselben wegwenden kann; jede beweist sich vielmehr in seinem innersten Selbstbewußtsein zu wurzeln, so daß, wenn sie im Widerstreite begriffen sind, der Halt des Geistes erschüttert und die unseligste Entzweiung sein Zustand ist. Wenn aber der Widerstreit des Glaubens und der Vernunft verschwunden und in eine Aussöhnung übergegangen ist, so würde es wesentlich von der Natur dieser Aussöhnung selbst abhängen, inwiefern zu ihr Glück zu wünschen wäre.
Denn es gibt auch einen Frieden der Gleichgültigkeit gegen die Tiefen des Geistes, einen Frieden des Leichtsinns, der Kahlheit; in einem solchen Frieden kann das Widerwärtige beseitigt scheinen, indem es nur auf die Seite gestellt ist. Dasjenige aber, was nur übersehen oder verachtet wird, ist darum nicht überwunden. Im Gegenteil, wenn nicht in der Aussöhnung die tiefsten wahrhaften Bedürfnisse befriedigt, wenn das Heiligtum des Geistes sein Recht nicht erlangt hätte, so wäre die Entzweiung an sich geblieben, und die Feindschaft eiterte sich desto tiefer im Innern fort; der Schade würde nur, mit sich selbst unbekannt und unerkannt, desto gefährlicher sein.
Ein unbefriedigender Friede kann zustande gekommen sein, wenn der Glaube inhaltslos geworden und von ihm nichts als die leere Schale der subjektiven Überzeugung übriggeblieben ist und andererseits die Vernunft auf die Erkenntnis von Wahrheit Verzicht getan hat und dem Geiste nur ein Ergehen teils in Erscheinungen, teils in Gefühlen übriggelassen ist. Wie sollte da noch großer Zwiespalt zwischen Glauben und Vernunft stattfinden können, wenn in beiden kein objektiver Inhalt mehr, somit kein Gegenstand eines Streites vorhanden ist?
Unter Glauben verstehe ich nämlich nicht - weder das bloß subjektive Überzeugtsein, welches sich auf die Form der Gewißheit beschränkt und noch unbestimmt läßt, ob und welchen Inhalt dieses Überzeugtsein habe, noch auf der andern Seite nur das Credo, das Glaubensbekenntnis der Kirche, welches in Wort und Schrift verfaßt ist und in den Mund, in Vorstellung und Gedächtnis aufgenommen sein kann, ohne das Innere durchdrungen, ohne mit der Gewißheit, die der Mensch von sich hat, mit dem Selbstbewußtsein des Menschen sich identifiziert zu haben. Zum Glauben rechne ich, nach dem wahrhaften alten Sinn desselben, das eine Moment ebensosehr als das andere und setze ihn darein, daß beide in unterschiedener Einheit vereint sind. Die Gemeinde (Kirche) ist in glücklichem Zustande, wenn der Gegensatz in ihr sich rein auf den angegebenen formellen Unterschied beschränkt und weder der Geist der Menschen aus sich einen eigentümlichen Inhalt dem Inhalte der Kirche entgegensetzt, noch die kirchliche Wahrheit zu einem äußerlichen Inhalt übergegangen ist, welcher den Heiligen Geist gleichgültig gegen sich läßt. Die Tätigkeit der Kirche innerhalb ihrer selbst wird vornehmlich in der Erziehung des Menschen bestehen, in dem Geschäfte, daß die Wahrheit, welche zunächst nur der Vorstellung und dem Gedächtnis gegeben werden kann, zu einem Innerlichen gedeihe, das Gemüt davon eingenommen und durchdrungen und das Selbstbewußtsein sich und seinen wesentlichen Bestand nur in jener Wahrheit finde. Daß diese beiden Seiten weder unmittelbar noch fortdauernd und fest in allen Bestimmungen miteinander vereinigt sind, sondern eine Trennung der unmittelbaren Gewißheit seiner selbst von dem wahrhaften Inhalte vorhanden ist, gehört in die Erscheinung jener fortdauernden Erziehung; die Gewißheit seiner selbst ist zunächst das natürliche Gefühl und der natürliche Wille und das demselben entsprechende Meinen und eitle Vorstellen; der wahrhafte Inhalt aber kommt zunächst äußerlich in Wort und Buchstaben an den Geist, und die religiöse Erziehung bewirkt beides in einem, - daß die Gefühle, die der Mensch nur unmittelbar von Natur hat, ihre Kraft verlieren und das, was Buchstabe war, zum eigenen lebendigen Geiste werde.
Diese Verwandlung und Vereinigung des zunächst äußerlichen Stoffes findet zwar sogleich einen Feind vor, mit dem sie es zu tun hat; sie hat einen unmittelbaren Widersacher an dem Naturgeiste und muß solchen zur Voraussetzung haben, eben weil es der freie Geist, nicht ein Naturleben ist, was erzeugt werden soll, weil der freie Geist nur als ein wiedergeborener ist. Dieser natürliche Feind aber ist durch die göttliche Idee ursprünglich überwunden und der freie Geist erlöst. Der Kampf mit dem Naturgeiste ist darum nur die Erscheinung im endlichen Individuum. Aber es kommt aus dem Individuum noch ein anderer Feind hervor, ein Feind, der nicht in der bloßen Natürlichkeit des Menschen den Ort seines Ausgangs, sondern ihn vielmehr in dem übersinnlichen Wesen desselben, im Denken hat, - dem Urstande des Innern selbst, dem Merkzeichen des göttlichen Ursprungs des Menschen, demjenigen, wodurch er sich vom Tiere unterscheidet und was allein, wie es die Wurzel seiner Hoheit, so die seiner Erniedrigung ist; denn das Tier ist weder der Hoheit noch der Erniedrigung fähig. Wenn das Denken sich eine solche Selbständigkeit nimmt, in der es dem Glauben gefährlich wird, so ist ein höherer, hartnäckigerer Kampf eingeleitet, als jener erstere Kampf ist, in welchem nur der natürliche Wille und das unbefangene, sich noch nicht für sich stellende Bewußtsein befaßt ist. Dieses Denken ist dann dasjenige, was man menschliches Denken, eigenen Verstand, endliche Vernunft genannt und mit Recht von dem Denken unterscheidet, welches, obwohl im Menschen, doch göttlich ist, von dem Verstand, der nicht das Eigene, sondern das Allgemeine sucht, von der Vernunft, welche das Unendliche und Ewige als das allein Seiende weiß und betrachtet.
Es ist jedoch nicht notwendig, daß jenes endliche Denken sogleich der Glaubenslehre entgegengesetzt sei. Zunächst wird es vielmehr innerhalb derselben und vermeintlich zugunsten der Religion bemüht sein, um sie mit seinen Erfindungen, Neugierden und Scharfsinnigkeiten auszuschmücken, zu unterstützen und zu ehren. In solchem Bemühen geschieht es, daß der Verstand als Folgerungen oder Voraussetzungen Gründe und Zwecke, eine Menge von Bestimmungen an die Glaubenslehren anknüpft, - Bestimmungen, die von endlichem Gehalte sind, denen aber leicht eine gleiche Würde, Wichtigkeit und Gültigkeit wie der ewigen Wahrheit selbst beigelegt wird, weil sie in unmittelbarem Zusammenhange mit dieser erscheinen. Indem sie zugleich nur endlichen Gehalt haben und daher ebensosehr der Gegenrede und Gegengründe fähig sind, bedürfen sie leicht, um behauptet zu werden, äußerlicher Autorität und werden ein Feld für menschliche Leidenschaften. Im Interesse der Endlichkeit erzeugt, haben sie nicht das Zeugnis des Heiligen Geistes für sich, sondern zu ihrem Beistande endliche Interessen.
Die absolute Wahrheit selbst aber tritt mit ihrer Erscheinung in zeitliche Gestaltung und in deren äußerliche Bedingungen, Zusammenhänge und Umstände. - Dadurch ist sie von selbst schon mit einer Mannigfaltigkeit von örtlichem, geschichtlichem und anderem positiven Stoffe umgeben. Weil die Wahrheit ist, muß sie erscheinen und erschienen sein; diese ihre Manifestation gehört zu ihrer ewigen Natur selbst, welche untrennbar von ihr ist, so sehr, daß diese Trennung sie vernichten, nämlich ihren Inhalt zu einem leeren Abstraktum herabsetzen würde; von der ewigen Erscheinung aber, die dem Wesen der Wahrheit inhäriert, muß die Seite des momentanen, örtlichen, äußerlichen Beiwesens wohl unterschieden werden, um nicht das Endliche mit dem Unendlichen, das Gleichgültige mit dem Substantiellen zu verwechseln. Dem Verstande wird an dieser Seite ein neuer Spielraum für seine Bemühungen und die Vermehrung des endlichen Stoffes aufgetan, und an dem Zusammenhange dieses Beiwesens findet er unmittelbare Veranlassung die Einzelheiten desselben zu der Würde des wahren Göttlichen, den Rahmen zur Würde des davon umschlossenen Kunstwerkes zu erheben, um für die endlichen Geschichten, Begebenheiten, Umstände, Vorstellungen, Gebote usf. dieselbe Ehrfurcht, denselben Glauben zu fordern als für das, was absolutes Sein, ewige Geschichte ist.
An diesen Seiten ist es denn, wo die formelle Bedeutung des Glaubens hervorzutreten beginnt, - die Bedeutung, daß er ein Fürwahrhalten überhaupt sei; das, was für wahr gelten soll, mag seiner inneren Natur nach beschaffen sein, wie es wolle. Es ist dies dasselbe Fürwahrhalten, welches in den alltäglichen Dingen des gemeinen Lebens, dessen Zuständen, Verhältnissen, Begebenheiten oder sonstigen natürlichen Existenzen, Eigenschaften und Beschaffenheiten an seinem Orte ist und gilt. Wenn die sinnliche äußerliche Anschauung oder das innere unmittelbare Gefühl, die Zeugnisse anderer und das Zutrauen zu ihnen usf. die Kriterien sind, aus welchen der Glaube für dergleichen Dinge hervorgeht, so kann wohl hierbei eine Überzeugung, als ein durch Gründe vermitteltes Fürwahrhalten, von dem Glauben als solchem unterschieden werden. Aber diese Unterscheidung ist zu geringfügig, um für solche Überzeugung einen Vorzug gegen den bloßen Glauben zu behaupten; denn die sogenannten Gründe sind nichts anderes als die bezeichneten Quellen dessen, was hier Glaube heißt.
Von anderer Art aber ist in Ansehung dieses allgemeinen Fürwahrhaltens ein Unterschied, der sich auf den Stoff und insbesondere den Gebrauch bezieht, der von dem Stoffe gemacht wird. Indem nämlich diejenigen endlichen und äußerlichen Geschichten und Umstände, welche in dem Umfange des religiösen Glaubens liegen, in einem Zusammenhange mit der ewigen Geschichte, welche die objektive Grundlage der Religion ausmacht, stehen, so schöpft die Frömmigkeit ihre mannigfaltigen Erregungen, Erbauungen und Belehrungen über die weltlichen Verhältnisse, individuellen Schicksale und Lagen aus diesem Stoffe und findet ihre Vorstellungen und den ganzen Umfang ihrer Bildung meistenteils oder ganz an jenen Kreis von Geschichten und Lehren, von welchem die ewige Wahrheit umgeben ist, angeknüpft. Auf alle Fälle verdient solcher Kreis, in welchem als einem Volksbuche die Menschen ihr Bewußtsein über alle weiteren Verhältnisse ihres Gemüts und Lebens überhaupt geschöpft haben, ja welcher auch das Medium ist, durch welches sie ihre Wirklichkeit zu dem religiösen Gesichtspunkt erheben, wenigstens die größte Achtung und eine ehrfurchtsvolle Behandlung.
Ein anderes ist es nun, wenn solcher Kreis unbefangen bloß von der frommen Gesinnung gebraucht und für dieselbe benutzt wird und, wenn er vom Verstande gefaßt und wie er von diesem gefaßt und festgesetzt ist, anderem Verstande so geboten wird, daß er diesem als Regel und ein Festes für das Fürwahrhalten gelten, hiermit dieser Verstand nur dem Verstande sich unterwerfen soll und wenn diese Unterwerfung im Namen der göttlichen Wahrheit gefordert wird.
In der Tat tut solche Forderung das Gegenteil ihrer selbst; indem es nicht der göttliche Geist des Glaubens ist, sondern der Verstand, welcher die Unterwerfung des Verstandes unter sich verlangt, so wird vielmehr der Verstand unmittelbar dadurch berechtigt, das Hauptwort in den göttlichen Dingen zu haben. Gegen solchen Inhalt des Buchstabens und der dürren Gelehrsamkeit der Orthodoxie hat der bessere Sinn ein göttliches Recht. So geschieht es denn, daß, je breiter sich diese endliche Weisheit über göttliche Dinge macht, je mehr sie Gewicht auf das äußerliche Historische und auf die Erfindung ihres eigenen Scharfsinns legt, sie desto mehr gegen die göttliche Wahrheit und gegen sich selbst gearbeitet hat. Sie hat das der göttlichen Wahrheit entgegengesetzte Prinzip hervorgebracht und anerkannt, einen ganz anderen Boden für das Erkennen aufgetan und bereitet, und auf diesem wird die unendliche Energie, die das Prinzip des Erkennens zugleich in sich besitzt und in der die tiefere Möglichkeit seiner einstigen Versöhnung mit dem wahren Glauben liegt, sich gegen die Einzwängung in jenes endliche Verstandesreich kehren und dessen Ansprüche, das Himmelreich sein zu wollen, zerstören.
Es ist der bessere Sinn, der, empört über den Widerspruch solcher Anmaßung, Endlichkeiten und Äußerlichkeiten als das Göttliche anerkennen und verehren zu lassen, ausgerüstet mit der Waffe des endlichen Denkens, als Aufklärung einerseits die Freiheit des Geistes, das Prinzip einer geistigen Religion, hergestellt und behauptet, andererseits aber als nur abstraktes Denken keinen Unterschied zu machen gewußt hat zwischen Bestimmungen eines nur endlichen Inhalts und Bestimmungen der Wahrheit selbst. So hat dieser abstrakte Verstand sich gegen alle Bestimmtheit gekehrt, die Wahrheit durchaus alles Inhalts entleert und sich nichts übriggehalten als einerseits das rein Negative selbst, das caput mortuum eines nur abstrakten Wesens, und andererseits endlichen Stoff, teils den, der seiner Natur nach endlich und äußerlich ist, teils aber den, den er sich aus dem göttlichen Inhalt verschafft hat, als welchen selbst er zu der Äußerlichkeit von bloß gemeinhistorischen Begebenheiten, zu lokalen Meinungen und besonderen Zeitansichten herabgesetzt hat. - Untätig kann aber das Denken überhaupt nicht sein. Aus und in jenem Gotte ist nichts zu holen, noch zu erholen, denn er ist bereits in sich ganz hohl gemacht. Er ist das Unerkennbare, denn das Erkennen hat es mit Inhalt, Bestimmung, Bewegung zu tun, das Leere aber ist inhaltslos, unbestimmt, ohne Leben und Handlung in sich. Die Lehre der Wahrheit ist ganz nur dies, Lehre von Gott zu sein und dessen Natur und Geschäfte geoffenbart zu haben. Der Verstand aber, indem er allen diesen Inhalt aufgelöst hat, hat Gott wieder eingehüllt und ihn zu dem, was er früher zur Zeit der bloßen Sehnsucht war, zu dem Unbekannten, herabgesetzt. Der denkenden Tätigkeit bleibt daher kein Stoff als der vorher angegebene endliche, nur mit dem Bewußtsein und der Bestimmung, daß es nichts als zeitlicher und endlicher Stoff ist; sie ist darauf beschränkt, in solchem Stoffe sich zu ergehen und die Befriedigung in der Eitelkeit zu finden, das Eitle vielfach zu gestalten, zu wenden und eine große Masse desselben gelehrterweise vor sich zu bringen.
Dem Geiste aber, der es in dieser Eitelkeit nicht aushält, ist nur das Sehnen gelassen; denn das, worin er sich befriedigen wollte, ist ein Jenseits. Es ist gestaltlos, inhaltslos, bestimmungslos; nur durch Gestalt, Inhalt, Bestimmung ist aber etwas für den Geist, ist es Vernunft, Wirklichkeit, Leben, ist es an und für sich. Jener endliche Stoff aber ist nur etwas Subjektives und unfähig, den Gehalt für das leere Ewige abzugeben. Das Bedürfnis, das in dem Geiste, der nach Religion wieder sucht, liegt, hat darum näher die Bestimmung, daß es einen Gehalt, der an und für sich sei, eine Wahrheit verlangt, die nicht dem Meinen und dem Eigendünkel des Verstandes angehöre, sondern welche objektiv sei. Was nun diesem Bedürfnisse allein noch übrig ist, um zu einer Befriedigung zu gelangen, ist, in die Gefühle zurückgetrieben zu werden. Das Gefühl ist noch die einzige Weise, in welcher die Religion vorhanden sein kann; an den höheren Gestalten ihrer Existenz, an der Form des Vorstellens und Fürwahrhaltens eines Inhalts, hat immer die Reflexion einen Anteil, und die Reflexion hat sich bis zur Negation aller objektiven Bestimmung getrieben.
Dies sind kurz die Grundzüge des Ganges, den die formelle Reflexion in der Religion genommen hat. WEITER>>>
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