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β. Die Endlichkeit auf dem Standpunkt der Reflexion
Indem wir uns jetzt aus dem unmittelbaren Bewußtsein in den Standpunkt der Reflexion erheben, haben wir es auch wieder mit einer Endlichkeit zu tun, die im bestimmten Gegensatz mit der Unendlichkeit auftritt. Dieser Gegensatz hat verschiedene Formen, und die Frage ist: welches sind diese?
Es ist auf diesem Standpunkt ein Loskommen von der Endlichkeit vorhanden, aber die wahrhafte Unendlichkeit ist auch in dieser Sphäre nur erst als die aufgehobene Endlichkeit. Es fragt sich also: kommt die Reflexion dazu, das Endliche als das an sich Nichtige zu setzen, oder kommt die Reflexion so weit wie die Natur; kann sie das sterben machen, was sterblich ist, oder ist ihr das Nichtige unsterblich? Weil es nichtig ist, sollen wir es schwinden lassen, denn was die Natur vermag, muß der unendliche Geist noch mehr können. So zeigt die Reflexion, wie die Natur, das Endliche als Nichtiges auf. Aber die Natur fällt immer wieder in das Endliche zurück, und ebenso ist es der Standpunkt der Reflexion, den Gegensatz, die Endlichkeit gegen die Unendlichkeit perennierend festzuhalten. Eben die Beziehung dieser beiden ist der Standpunkt der Reflexion; beide gehören zum Gegensatz, der diesem Standpunkt eigen ist. Es wird nämlich zum Unendlichen nur als der abstrakten Negation des Endlichen, als dem Nicht-Endlichen fortgegangen, das aber, als das Endliche nicht als sich selbst in sich habend, gegen dasselbe ein Anderes und somit selbst ein Endliches bleibt, welches wieder zu einem Unendlichen fortgeht und so weiter ins Unendliche.
αα) Das Außereinander der Endlichkeit und die Allgemeinheit. - Wenn wir den ersten Gegensatz vom Endlichen und Unendlichen in der Reflexion betrachten, so ist die Endlichkeit ein verschiedenes, mannigfaches Außereinander, von denen jedes ein Besonderes, Beschränktes ist; ihm gegenüber bestimmt sich das Mannigfache in seiner Allgemeinheit, Unbeschränktheit, das Allgemeine in dieser Vielheit. Diese Form kommt in konkreterer Gestalt in unserem Bewußtsein so vor.
Wir wissen von vielen Dingen, aber immer nur von einzelnen. Als wollend ist der Geist nach partikulären Zwecken und Interessen bestimmt. In beiden Beziehungen aber, als vorstellend und wollend, verhält sich der Geist als ausschließende Besonderheit und steht also im Zusammenhang mit selbständigen anderen Dingen. Auch hier tritt der Gegensatz ein, indem der Geist seine daseiende Einzelheit mit seiner als allgemein bestimmten, vorgestellten Einzelheit vergleicht. Den Reichtum der Kenntnisse, die ich besitze, vergleiche ich mit der vorgestellten Masse von Kenntnissen, finde beides, meine Wirklichkeit und die vorgestellte Allgemeinheit, unangemessen, und es wird gefordert, daß die wirkliche Vielheit weiter gefördert, vervollständigt, erschöpft und zur Allgemeinheit gebracht werde. Ebenso kann man sich im Praktischen eine Allgemeinheit der Befriedigung, Vollständigkeit der Triebe, Genüsse zum Plan machen, die man dann Glückseligkeit nennt. Die eine Totalität heißt Allgemeinheit des Wissens, die andere Totalität die des Besitzes, der Befriedigung, der Begierde, des Genusses. Allein die Totalität ist hier nur als Vielheit und Allheit gedacht, und sie bleibt daher der Endlichkeit, die nicht alles besitzen kann, gegenüberstehen. Ich ist so noch Ausschließendes gegen Ausschließendes; also Vieles ist als schlechthin ausschließend gegen anderes Vieles, und Alles ist nur eine äußerlich bleibende Abstraktion an dem Vielen. So wird nun gefunden, daß die Kenntnisse keine Grenze haben, so ist der Flug von Sternen zu Sternen unbegrenzt, und man kann sich wohl denken, daß die Naturwissenschaft alle Tiere kennt, aber nicht bis in ihre subtilsten Bestimmtheiten; ebenso ist es mit der Befriedigung der Triebe: viele Interessen und Zwecke kann der Mensch erreichen, aber alle oder die Glückseligkeit selbst nicht; die Allheit ist ein unerreichbares Ideal. Diese Endlichkeit bleibt, eben weil sie etwas Wahres ist; das Unwahre ist die Einheit, die Allgemeinheit; die Vielheit müßte ihren Charakter aufgeben, um unter die Einheit gesetzt zu werden. Das Ideal ist daher unerreichbar, eben weil es unwahr in sich ist, eine Einheit von vielem, die zugleich ein mannigfaltiges Außereinander bleiben soll. Der Zweck ferner und das Ideal, diesseits dessen man stehenbleibt, ist selbst ein wesentlich Endliches, und eben deswegen muß ich diesseits desselben stehenbleiben; denn in der Erreichung desselben würde ich doch nur Endliches erreichen.
ββ) Der Gegensatz des Endlichen und Unendlichen. - Zu betrachten ist nun die Form des Gegensatzes des Endlichen gegen Unendliches, wie er in der Reflexion als solcher ist. Dies ist die Endlichkeit im Gegensatz zur Unendlichkeit, beide für sich gesetzt, nicht bloß als Prädikat, sondern als wesentlicher Gegensatz und so, daß das eine bestimmt ist als das Andere des anderen. Die Endlichkeit bleibt auch hier eben deswegen, weil das Unendliche, das ihr gegenübersteht, selbst ein Endliches ist, und zwar ein solches, das als das Andere des Ersten gesetzt wird. Erst das wahrhaft Unendliche, welches sich selbst als Endliches setzt, greift zugleich über sich als sein Anderes über und bleibt darin, weil es sein Anderes ist, in der Einheit mit sich. Ist aber das Eine, Unendliche nur als das Nicht-Viele, Nicht-Endliche bestimmt, so bleibt es jenseits des Vielen und Endlichen, und so bleibt das Viele des Endlichen selbst gleichfalls für sich stehen, ohne sein Jenseits erreichen zu können.
Wir müssen nun fragen, ob dieser Gegensatz Wahrheit hat, d. h. ob diese beiden Seiten auseinanderfallen und außereinander bestehen. In dieser Rücksicht ist schon gesagt, daß wir, wenn wir das Endliche als endlich setzen, darüber hinaus sind. In der Schranke haben wir eine Schranke, aber nur, indem wir darüber hinaus sind; sie ist nicht mehr das Affirmative; indem wir dabei sind, sind wir nicht mehr dabei.
Das Endliche bezieht sich auf das Unendliche, beide schließen sich gegeneinander aus; näher betrachtet soll das Endliche das Begrenzte und die Grenze desselben das Unendliche sein.
Bei der ersten Form begrenzte ein Besonderes ein anderes; hier hat das Endliche am Unendlichen selbst eine Grenze. Wenn nun das Endliche begrenzt wird vom Unendlichen und auf einer Seite steht, so ist das Unendliche selbst auch ein Begrenztes; es hat am Endlichen eine Grenze, es ist das, was das Endliche nicht ist, hat ein Drüben und ist so ein Endliches, Begrenztes. Wir haben so statt des Höchsten ein Endliches. Wir haben nicht das, was wir wollen, wir haben nur ein Endliches an diesem Unendlichen. Oder sagt man auf der anderen Seite, daß das Unendliche nicht begrenzt wird, so wird das Endliche auch nicht begrenzt; wird es nicht begrenzt, so ist es nicht vom Unendlichen verschieden, sondern fließt mit ihm zusammen, ist identisch mit ihm in der Unendlichkeit wie vorher in der Endlichkeit. Dies ist die abstrakte Natur dieses Gegensatzes. Wir müssen dies im Bewußtsein behalten; dies festzuhalten ist von durchgängiger Wichtigkeit in Rücksicht aller Formen des reflektierenden Bewußtseins und der Philosophie. Eben in der absoluten Entgegensetzung verschwindet der Gegensatz selbst; beide Seiten des Verhältnisses verschwinden zu leeren Momenten, und das, was ist und bleibt, ist die Einheit beider, worin sie aufgehoben sind.
Das Endliche konkreter gefaßt ist Ich, und das Unendliche ist zuerst das Jenseits dieses Endlichen, das Negative desselben; als das Negative des Negativen ist das Unendliche aber das Affirmative. Auf die Seite des Unendlichen fällt somit die Affirmation, das Seiende, das Jenseits des Ich, meines Selbstbewußtseins, meines Bewußtseins als Können, als Wollen. Aber es ist bemerkt worden, daß es das Ich selbst ist, welches hier zunächst das Jenseits als das Affirmative bestimmt hat; diesem ist aber entgegengesetzt jenes Ich, welches wir vorher als das Affirmative bestimmt haben: ich bin unmittelbar, ich bin eins mit mir selbst.
Wenn das Bewußtsein sich als endlich bestimmt und jenseits das Unendliche ist, so macht dies Ich dieselbe Reflexion, die wir gemacht haben, daß jenes Unendliche nur ein verschwindendes ist, nur ein von mir gesetzter Gedanke. Ich bin der, welcher jenes Jenseits produziert und mich dadurch als endlich bestimme, beides ist mein Produkt; verschwindend sind sie in mir; ich bin der Herr und Meister dieser Bestimmung, und so ist das zweite gesetzt, daß ich das jenseits gelegte Affirmative bin; ich bin die Negation der Negation; ich bin es, in welchem der Gegensatz verschwindet, ich die Reflexion, sie zunichte zu machen. Das Ich richtet so durch seine eigene Reflexion jene sich auflösenden Gegensätze zugrunde.
γγ) Die absolute Behauptung des Endlichen in der Reflexion. - Hier stehen wir nun auf diesem Punkt und wollen sehen, wie es dem Endlichen geschieht, ob wirklich, real von ihm loszukommen ist und es sein Recht erhält, nämlich wahrhaft aufgehoben zu werden, sich zu verunendlichen, oder ob es in seiner Endlichkeit stehenbleibt und nur die Form des Unendlichen dadurch erhält, daß das Unendliche ihm gegenüber ein Endliches ist. Es scheint hier der Fall zu sein, daß die Reflexion das Nichtige nicht stehenlassen will und als wolle das Selbstbewußtsein Ernst machen mit seiner Endlichkeit und sich ihrer wahrhaft entäußern. Aber das ist gerade, was hier nicht geschieht, sondern nur Schein ist; vielmehr geschieht hier, daß das Endliche sich erhält, ich mich an mir halte, meine Nichtigkeit nicht aufgebe, aber mich darin zum Unendlichen mache, zum wirksamen betätigenden Unendlichen. Was wir also haben, ist, daß das endliche Ich, indem es das Setzen eines Unendlichen jenseits seiner ist, das Unendliche selbst als ein Endliches gesetzt hat und darin mit sich als dem gleichfalls Endlichen identisch ist und nun als identisch mit dem Unendlichen sich zum Unendlichen wird. Es ist dies die höchste Spitze der Subjektivität, die an sich festhält, die Endlichkeit, die bleibt und sich darin zum Unendlichen macht, die unendliche Subjektivität, die mit allem Inhalt fertig wird; aber diese Subjektivität selbst, diese Spitze der Endlichkeit erhält sich noch. Aller Inhalt ist darin verflüchtigt und vereitelt; es ist aber nur diese Eitelkeit, die nicht verschwindet. Diese Spitze hat den Schein, Verzicht zu leisten auf das Endliche; aber sie ist es, worin die Endlichkeit als solche sich noch behauptet. Näher ist das abstrakte Selbstbewußtsein das reine Denken als die absolute Macht der Negativität, mit allem fertig zu werden, aber die Macht, die sich als dies Ich noch erhält, indem sie die ganze Endlichkeit aufgibt und dies Endliche als die Unendlichkeit, als das allgemeine Affirmative ausspricht. Der Mangel ist der der Objektivität. Bei der wahrhaften Verzichtleistung kommt es darauf an, ob diese Spitze noch einen Gegenstand hat.
Der betrachtete Standpunkt ist die Reflexion in ihrer Vollendung, die abstrakte Subjektivität, das Ich, das absolut idealisierende, als für welches aller Unterschied, Bestimmung, Inhalt aufgehoben und als ein nur durch es gesetzter ist. Das Bestimmende bin Ich, und nur Ich, und bin es als dieses Einzelne, als das unmittelbare Selbst, als Ich, der ich unmittelbar bin.
Ich bin in allem Inhalt die unmittelbare Beziehung auf mich, d. i. Sein, und bin es als Einzelheit, als die Beziehung der Negativität auf sich selbst. Das von mir Gesetzte ist, als von mir unterschieden gesetzt, das Negative und so als negiert, als nur gesetzt. Ich bin somit die unmittelbare Negativität. So bin Ich, dieser Ausschließende, wie ich unmittelbar bin - d. h. nach meinen Gefühlen, Meinungen, nach der Willkür und Zufälligkeit meiner Empfindung und meines Wollens -, das Affirmative überhaupt, gut. Aller objektive Inhalt, Gesetz, Wahrheit, Pflicht, verschwindet für mich, ich anerkenne nichts, nichts Objektives, keine Wahrheit; Gott, das Unendliche ist mir ein Jenseits, abgehalten von mir. Ich allein bin das Positive, und kein Inhalt gilt an und für sich, er hat keine Affirmation mehr an sich selbst, sondern nur insofern ich ihn setze; das Wahre und das Gute ist nur mein Überzeugtsein, und dazu, daß etwas gut ist, gehört nur dies mein Überzeugtsein, diese meine Anerkennung. In dieser Idealität aller Bestimmungen bin ich allein das Reale.
Dieser Standpunkt gibt sich nun zunächst an als den der Demut, und diese seine Demut besteht darin, daß das Ich das Unendliche, das Wissen und Erkennen Gottes von sich ausschließt, Verzicht darauf leistet und sich als Endliches dagegen bestimmt. Aber diese Demut widerlegt sich damit selbst, ist vielmehr Hochmut; denn ich schließe eben das Wahre von mir aus, so daß ich als Dieser im Diesseits allein das Affirmative und das an und für sich Seiende bin, wogegen alles andere verschwindet. Die wahre Demut tut vielmehr auf sich, auf Diesen als das Affirmative Verzicht und anerkennt nur das Wahre und Anundfürsichseiende als das Affirmative. Hingegen jene falsche Demut macht, indem sie das Endliche als das Negative, Beschränkte anerkennt, dasselbe zugleich zum einzigen Affirmativen, Unendlichen und Absoluten: Ich, Dieser, bin allein das einzige Wesenhafte, d. h. Ich, dies Endliche, bin das Unendliche. Das Unendliche als Jenseitiges ausgesprochen ist nur durch mich gesetzt. In dieser Bestimmung ist die Einheit des Endlichen und Unendlichen enthalten, aber eine solche Einheit, worin das Endliche nicht untergegangen, sondern das Feste, Absolute, Perennierende geworden ist. Dadurch, daß diese Einheit durch das endliche Ich gesetzt ist, wird sie selbst zur endlichen Einheit. Das Ich heuchelt demütig, während es vor Stolz der Eitelkeit und der Nichtigkeit sich nicht zu lassen weiß. Andererseits, indem das Wissen von einem Höheren wegfällt und nur die subjektive Rührung, das Belieben übrigbleibt, so verbindet die Einzelnen nichts objektiv Gemeinsames, und bei der beliebigen Verschiedenheit ihres Gefühls sind sie feindselig mit Haß und Verachtung gegeneinander gerichtet.
Diese Version des Standpunktes in der äußersten, inhaltsleeren Spitze der sich als absolut setzenden endlichen Subjektivität macht das Schwierige für die Auffassung dieses Standpunktes aus.
Die erste Schwierigkeit desselben ist, daß er ein solches Abstraktum ist; die zweite ist die Annäherung desselben an den philosophischen Begriff. Er grenzt an den philosophischen Standpunkt, denn er ist der höchste der Reflexion. Er enthält Ausdrücke, die oberflächlich angesehen dieselben scheinen, die die Philosophie hat. Er enthält die Idealität, Negativität, die Subjektivität, und dieses alles ist, für sich betrachtet, ein wahres und wesentliches Moment der Freiheit und der Idee. Ferner enthält er die Einheit des Endlichen und Unendlichen; dies muß auch von der Idee gesagt werden. Allerdings ist es die Subjektivität, welche aus sich selbst alle Objektivität entwickelt und somit als Form sich zum Inhalt umsetzt und erst wahre Form durch ihren wahren Inhalt wird. Dessenungeachtet aber ist, was so als das Nächste erscheint, sich das Entfernteste. Diese Idealität, dies Feuer, in dem alle Bestimmungen sich aufzehren, ist auf diesem Standpunkte noch unvollendete Negativität; ich als unmittelbar, Dieser, bin die einzige Realität; alle übrigen Bestimmungen sind ideell gesetzt, verbrannt. Nur ich erhalte mich, und alle Bestimmungen gelten, wenn Ich will. Nur die Bestimmung meiner selbst und daß alles nur durch mich gesetzt ist, ist, gilt. Die Idealität ist nicht durchgeführt; diese letzte Spitze enthält noch das, was negiert werden muß, daß ich als Dieser nicht Wahrheit, Realität habe. Ich allein bin selbst noch positiv, da doch alles nur durch Negation soll affirmativ werden. Der Standpunkt widerspricht sich so selbst. Er setzt die Idealität als Prinzip, und das die Idealität Vollführende ist selbst nicht ideal.
Die Einheit des Endlichen und Unendlichen, die in der Reflexion gesetzt ist, ist allerdings eine Definition der Idee, aber so, daß das Unendliche das Setzen seiner als des Endlichen ist, während das Endliche das Endliche seiner selbst und durch diese Aufgehobenheit die Negation seiner Negation und somit das Unendliche, dies Unendliche aber nur als Setzen seiner in sich selbst als des Endlichen und das Aufheben dieser Endlichkeit als solcher ist. Auf dem subjektiven Standpunkt hingegen ist diese Einheit noch in die Einseitigkeit gesetzt, daß sie, vom Endlichen selbst gesetzt, noch unter der Bestimmung des Endlichen ist; ich, dieser Endliche, bin das Unendliche. Somit ist diese Unendlichkeit selbst die Endlichkeit. Von dieser Affirmation, von diesem Unendlichen ist noch zu trennen diese Einzelheit meines endlichen Seins, meine unmittelbare Ichheit. Die Reflexion ist selbst das Trennende; sie versäumt aber hier ihr Geschäft des Trennens und Unterscheidens und kommt zur Einheit, die aber nur endliche Einheit ist. Sie unterläßt es hier, von dem Unendlichen und Affirmativen die unmittelbare Einzelheit des Ich, des Diesen abzutrennen, und statt das für sich haltungslose Einzelne in die Allgemeinheit zu versenken und die Affirmation in ihrer absoluten Allgemeinheit aufzufassen, in welcher sie das Einzelne in sich schließt, faßt sie die Einzelheit selbst unmittelbar als das Allgemeine. Dies ist der Mangel dieses Standpunktes. Die Gegensätze können nur beurteilt werden, wenn man sie auf den letzten Gedanken zurückführt.
Es ist der Standpunkt unserer Zeit, und die Philosophie tritt damit in ein eigentümliches Verhältnis. Wenn man diesen Standpunkt mit der früheren Religiosität vergleicht, so bemerkt man leicht, daß früher dies religiöse Bewußtsein einen an und für sich seienden Inhalt hatte, einen Inhalt, der die Natur Gottes beschrieb. Es war der Standpunkt der Wahrheit und der Würde. Die höchste Pflicht war, Gott zu erkennen, ihn im Geist und in der Wahrheit anzubeten, und an das Fürwahrhalten, Wissen von diesem Inhalt war Seligkeit oder Verdammnis, absoluter Wert oder Unwert des Menschen geknüpft. Jetzt ist das Höchste, nicht von der Wahrheit, nicht von Gott zu wissen, und damit weiß man auch nicht, was Recht und Pflicht ist. Aller objektive Inhalt hat sich zu dieser reinen, formellen Subjektivität verflüchtigt. In diesem Standpunkt liegt ausdrücklich entwickelt, daß ich von Natur gut bin; nicht durch mich oder durch mein Wollen bin ich es; sondern darin, daß ich bewußtlos bin, bin ich gut. Die entgegengesetzte Einsicht enthält vielmehr: ich bin nur gut durch meine selbstbewußte, geistige Tätigkeit, Freiheit; nicht ursprünglich durch die Natur ist es, daß ich gut bin, sondern es muß in meinem Bewußtsein hervorgehen, es gehört meiner geistigen Welt an. Die Gnade Gottes hat da ihr Werk; aber mein Dabeisein als Bewußtsein und als mein Wollen gehört auch notwendig mit dazu. Jetzt ist das Gutsein meine Willkür, denn alles ist durch mich gesetzt.
Bei diesem merkwürdigen Gegensatz in der religiösen Ansicht müssen wir eine ungeheure Revolution in der christlichen Welt erkennen: es ist ein ganz anderes Selbstbewußtsein über das Wahre eingetreten. Alle Pflicht, alles Recht hängt von dem innersten Bewußtsein, dem Standpunkt des religiösen Selbstbewußtseins, der Wurzel des Geistes ab, und diese ist das Fundament aller Wirklichkeit. Doch hat sie nur Wahrheit, wenn sie die Form für den objektiven Inhalt ist. Auf jenem inhaltslosen Standpunkt hingegen ist gar keine Religion möglich, denn ich bin das Affirmative, während die an und für sich seiende Idee in der Religion schlechthin durch sich und nicht durch mich gesetzt sein muß; es kann also hier keine Religion sein, sowenig als auf dem Standpunkt des sinnlichen Bewußtseins.
Die Philosophie ist in dieser Rücksicht etwas Besonderes. Ist die allgemeine Bildung in das Bewußtsein gesetzt, so ist die Philosophie ein Geschäft, eine Weise der Ansicht, die außerhalb der Gemeine ist, ein Geschäft, das einen besonderen Ort hat, und so ist auch Religionsphilosophie nach der Zeitansicht etwas, was nicht in der Gemeine Bedeutung haben kann, und sie hat vielmehr Opposition, Feindseligkeit von allen Seiten zu erwarten.
War nun das erste Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen das natürliche und unwahre, weil die Menge und Vielheit der Besonderheit der Allgemeinheit gegenüber festgehalten wurde, sehen wir ferner als das zweite Verhältnis das in der Reflexion, wo die Endlichkeit in der ganz vollendeten Abstraktion des reinen Denkens liegt, das sich nicht wirklich als allgemeines faßt, sondern als Ich, als Dieser bleibt, so ist jenes Verhältnis zu betrachten, wie es sich in der Vernunft offenbart.
Die Endlichkeit in der sinnlichen Existenz
Die vernünftige Betrachtung der Endlichkeit
Übergang zum spekulativen Begriff der Religion
Der spekulative Begriff der Religion
G.W.F. Hegel
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