γ. Das Denken
§ 465
Die Intelligenz ist wiedererkennend; - sie erkennt eine Anschauung, insofern diese schon die ihrige ist (§ 454); ferner im Namen die Sache (§ 462); nun aber ist für sie ihr Allgemeines in der gedoppelten Bedeutung des Allgemeinen als solchen und desselben als Unmittelbaren oder Seienden, somit als das wahrhafte Allgemeine, welches die übergreifende Einheit seiner selbst über sein Anderes, das Sein, ist. So ist die Intelligenz für sich an ihr selbst erkennend; - an ihr selbst das Allgemeine; ihr Produkt, der Gedanke ist die Sache; einfache Identität des Subjektiven und Objektiven. Sie weiß, daß, was gedacht ist, ist; und daß, was ist, nur ist, insofern es Gedanke ist (vgl. § 5, 21); - für sich; das Denken der Intelligenz ist Gedanken haben; sie sind als ihr Inhalt und Gegenstand.
Zusatz. Das Denken ist die dritte und letzte Hauptentwicklungsstufe der Intelligenz; denn in ihm wird die in der Anschauung vorhandene, unmittelbare, an sich seiende Einheit des Subjektiven und Objektiven, aus dem in der Vorstellung erfolgenden Gegensatze dieser beiden Seiten, als eine um diesen Gegensatz bereicherte, somit an und für sich seiende wiederhergestellt, dies Ende demnach in jenen Anfang zurückgebogen. Während also auf dem Standpunkte der Vorstellung die teils durch die Einbildungskraft, teils durch das mechanische Gedächtnis bewirkte Einheit des Subjektiven und Objektiven - obgleich ich bei der letzteren meiner Subjektivität Gewalt antue - noch etwas Subjektives bleibt, so erhält dagegen im Denken jene Einheit die Form einer sowohl objektiven wie subjektiven Einheit, da dieses sich selber als die Natur der Sache weiß. Diejenigen, welche von der Philosophie nichts verstehen, schlagen zwar die Hände über den Kopf zusammen, wenn sie den Satz vernehmen: Das Denken ist das Sein. Dennoch liegt allem unserem Tun die Voraussetzung der Einheit des Denkens und des Seins zugrunde. Diese Voraussetzung machen wir als vernünftige, als denkende Wesen. Es ist jedoch wohl zu unterscheiden, ob wir nur denkende sind oder ob wir uns als denkende auch wissen. Das erstere sind wir unter allen Umständen; das letztere hingegen findet auf vollkommene Weise nur dann statt, wenn wir uns zum reinen Denken erhoben haben. Dieses erkennt, daß es selber allein, und nicht die Empfindung oder die Vorstellung, imstande ist, die Wahrheit der Dinge zu erfassen, und daß daher die Behauptung Epikurs, das Empfundene sei das Wahrhafte, für eine völlige Verkehrung der Natur des Geistes erklärt werden muß. Freilich darf aber das Denken nicht abstraktes, formelles Denken bleiben - denn dieses zerreißt den Inhalt der Wahrheit -, sondern es muß sich zum konkreten Denken, zum begreifenden Erkennen entwickeln.
§ 466
Das denkende Erkennen ist aber gleichfalls zunächst formell; die Allgemeinheit und ihr Sein ist die einfache Subjektivität der Intelligenz. Die Gedanken sind so nicht als an und für sich bestimmt und die zum Denken erinnerten Vorstellungen insofern noch der gegebene Inhalt.
Zusatz. Zunächst weiß das Denken die Einheit des Subjektiven und Objektiven als eine ganz abstrakte, unbestimmte, nur gewisse, nicht erfüllte, nicht bewährte. Die Bestimmtheit des vernünftigen Inhalts ist daher dieser Einheit noch eine äußerliche, folglich eine gegebene, - und das Erkennen somit formell. Da aber an sich jene Bestimmtheit in dem denkenden Erkennen enthalten ist, so widerspricht demselben jener Formalismus und wird deswegen vom Denken aufgehoben.
§ 467
An diesem Inhalte ist es 1. formell identischer Verstand, welcher die erinnerten Vorstellungen zu Gattungen, Arten, Gesetzen, Kräften usf., überhaupt zu den Kategorien verarbeitet, in dem Sinne, daß der Stoff erst in diesen Denkformen die Wahrheit seines Seins habe. Als in sich unendliche Negativität ist das Denken 2. wesentlich Diremtion, - Urteil, das den Begriff jedoch nicht mehr in den vorigen Gegensatz von Allgemeinheit und Sein auflöst, sondern nach den eigentümlichen Zusammenhängen des Begriffs unterscheidet, und 3. hebt das Denken die Formbestimmung auf und setzt zugleich die Identität der Unterschiede; - formelle Vernunft, schließender Verstand. - Die Intelligenz erkennt als denkend; und zwar erklärt 1. der Verstand das Einzelne aus seinen Allgemeinheiten (den Kategorien), so heißt er sich begreifend; 2. erklärt er dasselbe für ein Allgemeines (Gattung, Art), im Urteil; in diesen Formen erscheint der Inhalt als gegeben; 3. im Schlusse aber bestimmt er aus sich Inhalt, indem er jenen Formunterschied aufhebt. In der Einsicht in die Notwendigkeit ist die letzte Unmittelbarkeit, die dem formellen Denken noch anhängt, verschwunden.
In der Logik ist das Denken, wie es erst an sich ist und sich die Vernunft in diesem gegensatzlosen Elemente entwickelt. Im Bewußtsein kommt es gleichfalls als eine Stufe vor (s. § 437 Anm.). Hier ist die Vernunft als die Wahrheit des Gegensatzes, wie er sich innerhalb des Geistes selbst bestimmt hatte. - Das Denken tritt in diesen verschiedenen Teilen der Wissenschaft deswegen immer wieder hervor, weil diese Teile nur durch das Element und die Form des Gegensatzes verschieden, das Denken aber dieses eine und dasselbe Zentrum ist, in welches als in ihre Wahrheit die Gegensätze zurückgehen.
Zusatz. Vor Kant hat man bei uns keinen bestimmten Unterschied zwischen Verstand und Vernunft gemacht. Will man aber nicht in das die unterschiedenen Formen des reinen Denkens plumperweise verwischende vulgäre Bewußtsein heruntersinken, so muß zwischen Verstand und Vernunft der Unterschied festgesetzt werden, daß für die letztere der Gegenstand das An-und-für-sich-Bestimmte, Identität des Inhalts und der Form, des Allgemeinen und des Besonderen ist, für den ersteren hingegen in die Form und den Inhalt, in das Allgemeine und das Besondere, in ein leeres Ansich und in die von außen an dieses herankommende Bestimmtheit zerfällt, - daß also im verständigen Denken der Inhalt gegen seine Form gleichgültig ist, während er im vernünftigen oder begreifenden Erkennen aus sich selber seine Form hervorbringt. Obgleich aber der Verstand den eben angegebenen Mangel an sich hat, so ist er doch ein notwendiges Moment des vernünftigen Denkens. Seine Tätigkeit besteht überhaupt im Abstrahieren. Trennt er nun das Zufällige vom Wesentlichen ab, so ist er durchaus in seinem Rechte und erscheint als das, was er in Wahrheit sein soll. Daher nennt man denjenigen, welcher einen wesentlichen Zweck verfolgt, einen Mann von Verstand. Ohne Verstand ist auch keine Charakterfestigkeit möglich, da zu dieser gehört, daß der Mensch an seiner individuellen Wesenheit festhält. Jedoch kann der Verstand auch umgekehrt einer einseitigen Bestimmung die Form der Allgemeinheit geben und dadurch das Gegenteil des mit dem Sinn für das Wesentliche begabten, gesunden Menschenverstandes werden. Das zweite Moment des reinen Denkens ist das Urteilen. Die Intelligenz, welche als Verstand die verschiedenen, in der konkreten Einzelheit des Verstandes unmittelbar vereinten abstrakten Bestimmungen auseinanderreißt und vom Gegenstande abtrennt, geht notwendig zunächst dazu fort, den Gegenstand auf diese allgemeinen Denkbestimmungen zu beziehen, ihn somit als Verhältnis, als einen objektiven Zusammenhang, als eine Totalität zu betrachten. Diese Tätigkeit der Intelligenz nennt man häufig schon Begreifen, aber mit Unrecht. Denn auf diesem Standpunkt wird der Gegenstand noch als ein Gegebenes, als etwas von einem Anderen Abhängiges, durch dasselbe Bedingtes gefaßt. Die Umstände, welche eine Erscheinung bedingen, gelten hier noch für selbständige Existenzen. Somit ist die Identität der aufeinander bezogenen Erscheinungen noch eine bloß innere und eben deshalb bloß äußerliche. Der Begriff zeigt sich daher hier noch nicht in seiner eigenen Gestalt, sondern in der Form der begrifflosen Notwendigkeit. Erst auf der dritten Stufe des reinen Denkens wird der Begriff als solcher erkannt. Diese Stufe stellt also das eigentliche Begreifen dar. Hier wird das Allgemeine als sich selber besondernd und aus der Besonderung zur Einzelheit zusammennehmend erkannt oder, was dasselbe ist, das Besondere aus seiner Selbständigkeit zu einem Momente des Begriffs herabgesetzt. Demnach ist hier das Allgemeine nicht mehr eine dem Inhalt äußerliche, sondern die wahrhafte, aus sich selber den Inhalt hervorbringende Form, - der sich selber entwickelnde Begriff der Sache. Das Denken hat folglich auf diesem Standpunkte keinen anderen Inhalt als sich selber, als seine eigenen, den immanenten Inhalt der Form bildenden Bestimmungen; es sucht und findet im Gegenstande nur sich selbst. Der Gegenstand ist daher hier vom Denken nur dadurch unterschieden, daß er die Form des Seins, des Fürsichbestehens hat. Somit steht das Denken hier zum Objekt in einem vollkommen freien Verhältnisse. In diesem mit seinem Gegenstande identischen Denken erreicht die Intelligenz ihre Vollendung, ihr Ziel; denn nun ist sie in der Tat das, was sie in ihrer Unmittelbarkeit nur sein sollte, - die sich wissende Wahrheit, die sich selbst erkennende Vernunft. Das Wissen macht jetzt die Subjektivität der Vernunft aus, und die objektive Vernunft ist als Wissen gesetzt. Dies gegenseitige Sichdurchdringen der denkenden Subjektivität und der objektiven Vernunft ist das Endresultat der Entwicklung des theoretischen Geistes durch die dem reinen Denken vorangehenden Stufen der Anschauung und der Vorstellung hindurch.
§ 468
Die Intelligenz, die als theoretische sich die unmittelbare Bestimmtheit aneignet, ist nach vollendeter Besitznahme nun in ihrem Eigentume; durch die letzte Negation der Unmittelbarkeit ist an sich gesetzt, daß für sie der Inhalt durch sie bestimmt ist. Das Denken, als der freie Begriff, ist nun auch dem Inhalte nach frei. Die Intelligenz, sich wissend als das Bestimmende des Inhalts, der ebenso der ihrige, als er als seiend bestimmt ist, ist Wille.
Zusatz. Das reine Denken ist zunächst ein unbefangenes, in die Sache versenktes Verhalten. Dies Tun wird aber notwendig auch sich selbst gegenständlich. Da das begreifende Erkennen im Gegenstande absolut bei sich selber ist, so muß es erkennen, daß seine Bestimmungen Bestimmungen der Sache und daß umgekehrt die objektiv gültigen, seienden Bestimmungen seine Bestimmungen sind. Durch diese Erinnerung, durch dies Insichgehen der Intelligenz wird dieselbe zum Willen. Für das gewöhnliche Bewußtsein ist dieser Übergang allerdings nicht vorhanden; der Vorstellung fallen vielmehr das Denken und der Wille auseinander. In Wahrheit aber ist, wie wir soeben gesehen haben, das Denken das sich selbst zum Willen Bestimmende und bleibt das erstere die Substanz des letzteren, so daß ohne Denken kein Wille sein kann und auch der ungebildetste Mensch nur insofern Wille ist, als er gedacht hat, das Tier dagegen, weil es nicht denkt, auch keinen Willen zu haben vermag.
C. Psychologie. Der Geist
a. Der theoretische Geist
Anschauung
Die Vorstellung
1. Die Erinnerung
2. Die Einbildungskraft
3. Das Gedächtnis
Das Denken
b. Der praktische Geist
Das praktische Gefühl
Die Triebe und die Willkür
Die Glückseligkeit
c. Der freie Geist
|