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G.W.F.Hegel                                                                                                                hegeleliforp03Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse

1. Die Erinnerung

§ 452

Als die Anschauung zunächst erinnernd, setzt die Intelligenz den Inhalt des Gefühls in ihre Innerlichkeit,
in ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit.
So ist er αα) Bild, von seiner ersten Unmittelbarkeit und abstrakten Einzelheit gegen anderes befreit, als in die Allgemeinheit des Ich überhaupt aufgenommen.
Das Bild hat nicht mehr die vollständige Bestimmtheit, welche die Anschauung hat, und ist willkürlich oder zufällig, überhaupt isoliert von dem äußerlichen Orte, der Zeit und dem unmittelbaren Zusammenhang, in dem sie stand.

Zusatz.
Da die Intelligenz, ihrem Begriffe nach, die für sich seiende unendliche Idealität oder Allgemeinheit ist, so ist der Raum und die Zeit der Intelligenz der allgemeine Raum und die allgemeine Zeit.
Indem ich daher den Inhalt des Gefühls in die Innerlichkeit der Intelligenz setze und dadurch zur Vorstellung mache, hebe ich denselben aus der Besonderheit der Zeit und des Raumes heraus, an welche er selber in seiner Unmittelbarkeit gebunden ist und von welcher auch ich in der Empfindung und in der Anschauung abhängig bin.
Daraus folgt erstens, daß, während zur Empfindung und Anschauung die unmittelbare Gegenwart der Sache nötig ist, ich mir dagegen allenthalben, wo ich bin, etwas, auch das mir dem äußeren Raume und der äußeren Zeit nach Fernste, vorstellen kann.
Zweitens aber ergibt sich aus dem oben Gesagten, daß alles, was geschieht, erst durch seine Aufnahme in die vorstellende Intelligenz für uns Dauer erhält, - daß dagegen Begebenheiten, die von der Intelligenz dieser Aufnahme nicht gewürdigt worden sind, zu etwas völlig Vergangenem werden. Das Vorgestellte gewinnt jedoch jene Unvergänglichkeit nur auf Kosten der Klarheit und Frische der unmittelbaren, nach allen Seiten fest bestimmten Einzelheit des Angeschauten; die Anschauung verdunkelt und verwischt sich, indem sie zum Bilde wird.
Was die Zeit betrifft, so kann über den subjektiven Charakter, welchen dieselbe in der Vorstellung erhält, hier noch bemerkt werden, daß in der Anschauung die Zeit uns kurz wird, wenn wir vieles anschauen, lang dagegen, wenn der Mangel gegebenen Stoffes uns auf die Betrachtung unserer inhaltslosen Subjektivität hintreibt, daß aber umgekehrt in der Vorstellung diejenigen Zeiten, in denen wir auf vielfache Weise beschäftigt gewesen sind, uns lang vorkommen, während diejenigen, wo wir wenig Beschäftigung gehabt haben, uns kurz zu sein scheinen. Hier, in der Erinnerung, fassen wir unsere Subjektivität, unsere Innerlichkeit, ins Auge und bestimmen das Maß der Zeit nach dem Interesse, welches dieselbe für uns gehabt hat. Dort, in der Anschauung, sind wir in die Betrachtung der Sache versenkt; da erscheint uns die Zeit kurz, wenn sie eine immer abwechselnde Erfüllung bekommt, lang dagegen, wenn ihre Gleichförmigkeit durch nichts unterbrochen wird.

§ 453

ββ) Das Bild für sich ist vorübergehend, und die Intelligenz selbst ist als Aufmerksamkeit die Zeit und auch der Raum, das Wann und Wo desselben. Die Intelligenz ist aber nicht nur das Bewußtsein und Dasein, sondern als solche das Subjekt und das Ansich ihrer Bestimmungen; in ihr erinnert, ist das Bild, nicht mehr existierend, bewußtlos aufbewahrt.                     [Die Nacht der Welt]

Die Intelligenz als diesen nächtlichen Schacht, in welchem eine Welt unendlich vieler Bilder und Vorstellungen aufbewahrt ist, ohne daß sie im Bewußtsein wären, zu fassen, ist einerseits die allgemeine Forderung, den Begriff als konkret, wie den Keim z. B. so zu fassen, daß er alle Bestimmtheiten, welche in der Entwicklung des Baumes erst zur Existenz kommen, in virtueller Möglichkeit, affirmativ enthält.
Die Unfähigkeit, dies in sich konkrete und doch einfach bleibende Allgemeine zu fassen, ist es, welche das Gerede vom Aufbewahren der besonderen Vorstellungen in besonderen Fibern und Plätzen veranlaßt hat; das Verschiedene soll wesentlich nur eine auch vereinzelte räumliche Existenz haben.
- Der Keim aber kommt aus den existierenden Bestimmtheiten nur in einem Anderen, dem Keime der Frucht, zur Rückkehr in seine Einfachheit, wieder zur Existenz des Ansichseins.
Aber die Intelligenz ist als solche die freie Existenz des in seiner Entwicklung sich in sich erinnernden Ansichseins. Es ist also andererseits die Intelligenz als dieser bewußtlose Schacht, d. i. als das existierende Allgemeine, in welchem das Verschiedene noch nicht als diskret gesetzt ist, zu fassen.
Und zwar ist dieses Ansich die erste Form der Allgemeinheit, die sich im Vorstellen darbietet.

Zusatz.
Das Bild ist das Meinige, es gehört mir an; aber zunächst hat dasselbe noch weiter keine Homogeneität mit mir, denn es ist noch nicht gedacht, noch nicht in die Form der Vernünftigkeit erhoben; zwischen ihm und mir besteht vielmehr noch ein von dem Standpunkt der Anschauung herrührendes, nicht wahrhaft freies Verhältnis, nach welchem ich nur das Innerliche bin, das Bild aber das mir Äußerliche ist. Daher habe ich zunächst noch nicht die volle Macht über die im Schacht meiner Innerlichkeit schlafenden Bilder, vermag noch nicht, dieselben willkürlich wiederhervorzurufen.
Niemand weiß, welche unendliche Menge von Bildern der Vergangenheit in ihm schlummert; zufälligerweise erwachen sie wohl dann und wann, aber man kann sich, wie man sagt, nicht auf sie besinnen.
So sind die Bilder nur auf formelle Weise das Unsrige.

§ 454

γγ) Solches abstrakt aufbewahrte Bild bedarf zu seinem Dasein einer daseienden Anschauung; die eigentliche sogenannte Erinnerung ist die Beziehung des Bildes auf eine Anschauung, und zwar als Subsumtion der unmittelbaren einzelnen Anschauung unter das der Form nach Allgemeine, unter die Vorstellung, die derselbe Inhalt ist; so daß die Intelligenz in der bestimmten Empfindung und deren Anschauung sich innerlich ist und sie als das bereits Ihrige erkennt, so wie sie zugleich ihr zunächst nur inneres Bild nun auch als unmittelbares der Anschauung und an solcher als bewährt weiß.
- Das Bild, das im Schachte der Intelligenz nur ihr Eigentum war, ist mit der Bestimmung der Äußerlichkeit nun auch im Besitze derselben. Es ist damit zugleich unterscheidbar von der Anschauung und trennbar von der einfachen Nacht, in der es zunächst versenkt ist, gesetzt.
Die Intelligenz ist so die Gewalt, ihr Eigentum äußern zu können und für dessen Existenz in ihr nicht mehr der äußeren Anschauung zu bedürfen.
Diese Synthese des innerlichen Bildes mit dem erinnerten Dasein ist die eigentliche Vorstellung, indem das Innere nun auch an ihm die Bestimmung hat, vor die Intelligenz gestellt werden zu können, in ihr Dasein zu haben.

Zusatz.
Zu unserem wirklichen Besitztum werden die in der dunklen Tiefe unseres Inneren verborgen liegenden Bilder der Vergangenheit dadurch, daß sie in der lichtvollen, plastischen Gestalt einer daseienden Anschauung gleichen Inhalts vor die Intelligenz treten und daß wir sie, mit Hilfe dieser gegenwärtigen Anschauung, als bereits von uns gehabte Anschauungen erkennen.
So geschieht es zum Beispiel, daß wir einen Menschen, dessen Bild sich in unserem Geiste schon völlig verdunkelt hat, unter Hunderttausenden herauserkennen, sobald er selber uns wieder zu Gesichte kommt. Wenn ich also etwas in der Erinnerung behalten soll, so muß ich die Anschauung desselben wiederholt haben. Anfangs wird allerdings das Bild nicht sowohl durch mich selbst als vielmehr durch die entsprechende unmittelbare Anschauung wiedererweckt. Durch öftere solche Wiederhervorrufung erhält aber das Bild in mir eine so große Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit, daß ich der äußeren Anschauung nicht mehr bedarf, um mich desselben zu erinnern. Auf diesem Wege kommen die Kinder von der Anschauung zur Erinnerung. Je gebildeter ein Mensch ist, desto mehr lebt er nicht in der unmittelbaren Anschauung, sondern - bei allen seinen Anschauungen - zugleich in Erinnerungen, so daß er wenig durchaus Neues sieht, der substantielle Gehalt des meisten Neuen ihm vielmehr schon etwas Bekanntes ist. Ebenso begnügt sich ein gebildeter Mensch vornehmlich mit seinen Bildern und fühlt selten das Bedürfnis der unmittelbaren Anschauung. Das neugierige Volk dagegen läuft immer wieder dahin, wo etwas zu begaffen

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