G.W.F. HEGEL: Vorlesungen über die Philosophie der Religion
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2. Das Moment der Besonderheit oder die Sphäre der Differenz
Die Besonderung, die in der Sphäre des Allgemeinen noch zurückgehalten wird, macht daher, wenn sie wirklich als solche zur Erscheinung kommt, das Andere gegen das Extrem der Allgemeinheit aus, und dieses andere Extrem ist das Bewußtsein in seiner Einzelheit als solcher, das Subjekt nach seiner Unmittelbarkeit, als dieses mit seinen Bedürfnissen, Zuständen, Sünden usf., überhaupt nach seinem ganz empirischen, zeitlichen Charakter.
Die Beziehung beider Seiten in dieser ihrer Bestimmung bin Ich selbst in der Religion. Ich, das Denkende, dieses mich Erhebende, das tätige Allgemeine, und Ich, das unmittelbare Subjekt, sind ein und dasselbe Ich; und ferner die Beziehung dieser so hart einander gegenüberstehenden Seiten - des schlechthin endlichen Bewußtseins und Seins und des Unendlichen - ist in der Religion für mich. Ich erhebe mich denkend zum Absoluten über alles Endliche und bin unendliches Bewußtsein, und zugleich bin ich endliches Selbstbewußtsein, und zwar nach meiner ganzen empirischen Bestimmung; beides, sowie ihre Beziehung, ist für mich. Beide Seiten suchen sich und fliehen sich. Einmal z. B. lege ich den Akzent auf mein empirisches, endliches Bewußtsein und stelle mich der Unendlichkeit gegenüber; das andere Mal schließe ich mich von mir aus, verdamme mich und gebe dem unendlichen Bewußtsein das Übergewicht. Die Mitte des Schlusses enthält nichts anderes als die Bestimmung beider Extreme selbst. Es sind nicht die Säulen des Herakles, die sich hart einander gegenüberstehen. Ich bin, und es ist in mir für mich dieser Widerstreit und diese Einigung; Ich bin in mir selbst als unendlich gegen mich als endlich und als endliches Bewußtsein gegen mein Denken als unendliches bestimmt. Ich bin das Gefühl, die Anschauung, die Vorstellung dieser Einigkeit und dieses Widerstreites und das Zusammenhalten der Widerstreitenden, die Bemühung dieses Zusammenhaltens und die Arbeit des Gemüts, dieses Gegensatzes Meister zu werden.
Ich bin also die Beziehung dieser beiden Seiten, welche nicht abstrakte Bestimmungen, wie "endlich und unendlich", sondern jede selbst die Totalität sind. Die beiden Extreme sind jedes selbst Ich, das Beziehende; und das Zusammenhalten, Beziehen ist selbst dies in Einem sich Bekämpfende und dies im Kampfe sich Einende. Oder Ich bin der Kampf; denn der Kampf ist eben dieser Widerstreit, der nicht Gleichgültigkeit der beiden als Verschiedener, sondern das Zusammengebundensein beider ist. Ich bin nicht einer der im Kampf Begriffenen, sondern Ich bin beide Kämpfende und der Kampf selbst. Ich bin das Feuer und Wasser, die sich berühren, und die Berührung und Einheit dessen, was sich schlechthin flieht; und eben diese Berührung ist selbst diese doppelt, widerstreitend seiende Beziehung als Beziehung der bald Getrennten, Entzweiten, bald Versöhnten und mit sich Einigen.
Als Formen dieser Beziehung beider Extreme werden wir aber kennenlernen
a) das Gefühl, b) die Anschauung, c) die Vorstellung.
Den gesamten Kreis dieser Beziehungen, insofern er überhaupt als Erhebung des endlichen Bewußtseins zum Absoluten die Formen des religiösen Bewußtseins enthält, werden wir, ehe wir ihn betreten, in seiner Notwendigkeit erkennen müssen. Indem wir diese Notwendigkeit der Religion aufsuchen, so werden wir dieselbe als gesetzt durch Anderes fassen müssen.
Zwar wird in dieser Vermittlung schon, wenn sie uns den Eingang in den Kreis jener Formen des Bewußtseins öffnet, die Religion sich als ein Resultat darstellen, welches sich eben aufhebt, Resultat zu sein; sie wird sich mithin als das Erste darstellen, durch das alles vermittelt ist und an dem alles andere hängt. Wir werden so in dem Vermittelten den Gegenstoß der Bewegung und der Notwendigkeit sehen, die vorwärtsgeht und ebenso zurückstößt. Aber diese Vermittlung der Notwendigkeit ist nun auch innerhalb der Religion selbst zu setzen, so daß nämlich die Beziehung und der wesentliche Zusammenhang der beiden Seiten, welche der religiöse Geist umschließt, als notwendig gewußt wird. Die Formen des Gefühls, der Anschauung und Vorstellung, wie sie notwendig eine aus der anderen hervorgehen, treiben sich nun auch zu jener Sphäre fort, in welcher die innere Vermittlung ihrer Momente sich als notwendig beweist, d. h. zur Sphäre des Denkens, in welcher das religiöse Bewußtsein sich in seinem Begriff erfassen wird. Diese beiden Vermittlungen der Notwendigkeit, deren eine zur Religion hinführt, die andere innerhalb des religiösen Selbstbewußtseins selbst geschieht, umschließen daher die Formen des religiösen Bewußtseins, wie es als Gefühl, Anschauung und Vorstellung erscheint.
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