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G.W.F. HEGEL
Vorlesungen über die Philosophie der Religion

 

3. Die Philosophie und das unmittelbare Wissen

Könnte es wegen der Inhaltslosigkeit des betrachteten Standpunktes scheinen, daß wir seine Vorwürfe, die er gegen die Philosophie erhebt, nur erwähnten, um ausdrücklich gegen ihn auszusprechen, daß wir den Zweck haben und nicht aufgeben, das Gegenteil von dem zu tun, was er für das Höchste hält, nämlich Gott zu erkennen, so hat er doch an seiner Form eine Seite an sich,
wo er für uns wirklich ein vernünftiges Interesse haben muß, und nach dieser Seite ist die neuere Stellung der Theologie noch günstiger für die Philosophie.
Damit nämlich, daß alle objektive Bestimmtheit in die Innerlichkeit der Subjektivität zusammengefallen ist, ist die Überzeugung verbunden, daß Gott in dem Menschen unmittelbar offenbart, daß die Religion eben dies sei, daß der Mensch unmittelbar von Gott wisse; dies unmittelbare Wissen nennt man Vernunft, auch Glauben, aber in anderem Sinne, als die Kirche den Glauben nimmt.
Alles Wissen, alle Überzeugung, Frömmigkeit, heißt es nun auf diesem Standpunkt, beruhe darauf, daß im Geiste als solchem unmittelbar mit dem Bewußtsein seiner selbst
das Bewußtsein von Gott sei
.

a) Diese Behauptung in direktem Sinne, ohne daß sie eine polemische Richtung gegen die Philosophie sich gegeben, gilt als solche, die keines Beweises, keiner Erhärtung bedürfe.
Diese allgemeine Vorstellung, die jetzt Vorurteil geworden, enthält die Bestimmung, daß der höchste, der religiöse Inhalt sich im Geiste selbst kundgibt, daß der Geist im Geiste, und zwar in diesem meinem Geiste sich manifestiert, daß dieser Glaube in meiner tiefsten Eigenheit seine Quelle, Wurzel hat und daß er mein Eigenstes und als solches vom Bewußtsein des reinen Geistes untrennbar ist.

Daß das Wissen unmittelbar in mir selbst sei, damit ist alle äußere Autorität, alle fremdartige Beglaubigung hinweggeworfen; was mir gelten soll, muß seine Bewährung in meinem Geiste haben,
und dazu, daß ich glaube, gehört das Zeugnis meines Geistes.
Es kann wohl von außen kommen, aber der äußerliche Anfang ist gleichgültig; soll es gelten, so kann diese Geltung nur auf der Grundlage von allem Wahrhaften, im Zeugnis des Geistes, sich bilden.

Dies Prinzip ist das einfache Prinzip des philosophischen Erkennens selbst, und die Philosophie verwirft es nicht nur nicht, sondern es macht eine Grundbestimmung in ihr selbst aus.
Auf diese Weise ist es überhaupt als ein Gewinn, eine Art von Glück anzusehen, daß Grundprinzipien der Philosophie selbst in der allgemeinen Vorstellung leben und zu allgemeinen Vorurteilen geworden sind, so daß das philosophische Prinzip um so leichter die Zustimmung der allgemeinen Bildung erwarten kann. In dieser allgemeinen Disposition des Geistes der Zeit hat die Philosophie daher nicht nur eine äußerlich günstige Stellung gewonnen - um das Äußerliche ist es ihr nie zu tun, am wenigsten da, wo sie und die Beschäftigung mit ihr selbst als Staatsanstalt existiert -, sondern innerlich ist sie begünstigt, wenn ihr Prinzip schon von selbst im Geiste und in den Gemütern als Voraussetzung lebt.
Denn das ist ihr mit jener Bildung gemeinschaftlich, daß die Vernunft der Ort des Geistes sei,
wo Gott sich dem Menschen offenbart.

b) Aber das Prinzip des unmittelbaren Wissens bleibt nicht bei dieser einfachen Bestimmtheit,
diesem unbefangenen Inhalt stehen und spricht sich nicht bloß affirmativ aus,
sondern tritt polemisch gegen das Erkennen auf und ist insbesondere gegen das Erkennen und Begreifen Gottes gerichtet: es soll nicht nur so geglaubt und unmittelbar gewußt werden,
es wird nicht nur behauptet, daß mit dem Selbstbewußtsein das Bewußtsein Gottes verknüpft sei, sondern daß das Verhältnis zu Gott nur ein unmittelbares sei.
Die Unmittelbarkeit des Zusammenhangs wird ausschließend gegen die andere Bestimmung der Vermittlung genommen und der Philosophie, weil sie ein vermitteltes Wissen sei, dann nachgesagt, sie sei nur ein endliches Wissen von Endlichem.

Sodann soll die Unmittelbarkeit dieses Wissens dabei stehenbleiben, daß man wisse, daß Gott ist,
nicht was er ist; der Inhalt, die Erfüllung in der Vorstellung von Gott ist negiert.
Erkennen nennen wir dies, daß von einem Gegenstande nicht nur gewußt wird, daß er ist, sondern auch, was er ist, und daß, was er ist, nicht nur überhaupt so gewußt wird, daß man eine gewisse Kenntnis, Gewißheit hat, was er ist, sondern das Wissen von seinen Bestimmungen, seinem Inhalt
muß ein erfülltes, bewährtes sein, worin die Notwendigkeit des Zusammenhangs dieser Bestimmungen gewußt wird.

Betrachten wir nun genauer, was in der Behauptung des unmittelbaren Wissens liegt,
so soll das Bewußtsein sich in der Art auf seinen Inhalt beziehen,
daß es selbst und dieser Inhalt, Gott, unzertrennlich sind.
Diese Beziehung überhaupt, Wissen von Gott und diese Untrennbarkeit des Bewußtseins von
diesem Inhalt, ist das, was wir Religion überhaupt nennen.
Es liegt aber auch in jener Behauptung, daß wir bei der Betrachtung der Religion als solcher stehenbleiben sollen, näher bei der Betrachtung der Beziehung auf Gott, und es soll nicht fortgegangen werden zum Erkennen Gottes, nicht zum göttlichen Inhalt, wie dieser in ihm selbst wesentlich wäre.

In diesem Sinne wird weiter gesagt: wir können nur unsere Beziehung zu Gott wissen,
nicht, was Gott selbst ist; und nur unsere Beziehung zu Gott falle in das, was Religion überhaupt heißt.
Damit geschieht es, daß wir heutigentags nur von Religion sprechen hören,
nicht Untersuchungen finden, was die Natur Gottes, Gott in ihm selbst sei, wie die Natur Gottes bestimmt werden müsse.
Gott als solcher wird nicht selbst zum Gegenstand gemacht; das Wissen breitet sich nicht innerhalb dieses Gegenstandes aus und zeigt in ihm nicht unterschiedene Bestimmungen auf, so daß er selbst als das Verhältnis dieser Bestimmungen und als Verhältnis in sich selbst gefaßt würde.
Gott ist nicht vor uns als Gegenstand der Erkenntnis, sondern nur unsere Beziehung auf Gott,
unser Verhältnis zu ihm; und während der Ausführungen über die Natur Gottes immer weniger geworden sind, wird jetzt nur gefordert, der Mensch solle Religion haben, bei der Religion bleiben,
und es solle nicht zu einem göttlichen Inhalt fortgegangen werden.

c) Nehmen wir aber heraus, was im Satze des unmittelbaren Wissens liegt, was unmittelbar damit gesagt ist, so ist eben Gott ausgesprochen in Beziehung auf das Bewußtsein,
so daß diese Beziehung ein Untrennbares sei, oder daß wir beides betrachten müssen.
Es ist damit erstlich der wesentliche Unterschied, den der Begriff der Religion enthält
- einerseits subjektives Bewußtsein und andererseits Gott als Gegenstand an sich -, anerkannt. Zugleich aber wird gesagt, es sei eine wesentliche Beziehung zwischen beiden,
und diese unzertrennliche Beziehung der Religion sei es, worauf es ankomme, nicht das, was man von Gott meine, sich einfallen lasse.

Was nun diese Behauptung als ihren eigentlichen wahren Kern enthält, ist die philosophische Idee selbst, nur daß diese vom unmittelbaren Wissen in einer Beschränkung zurückgehalten wird,
welche durch die Philosophie aufgelöst und in ihrer Einseitigkeit und Unwahrheit aufgezeigt wird.
Dem philosophischen Begriff nach ist Gott Geist, konkret; und wenn wir näher fragen, was Geist ist,
so ist der Grundbegriff vom Geiste der, dessen Entwicklung die ganze Religionslehre ist.
Vorläufig können wir sagen, der Geist ist dies: sich zu manifestieren, für den Geist zu sein.
Der Geist ist für den Geist, und zwar nicht nur auf äußerliche, zufällige Weise, sondern er ist nur insofern Geist, als er für den Geist ist; dies macht den Begriff des Geistes selbst aus.
Oder, um es mehr theologisch auszudrücken, Gott ist Geist wesentlich, insofern er in seiner Gemeinde ist. Man hat gesagt, die Welt, das sinnliche Universum, müsse Zuschauer haben und für den Geist sein,
- so muß Gott noch viel mehr für den Geist sein.

Es kann somit die Betrachtung nicht einseitig sein, bloß Betrachtung des Subjekts nach seiner Endlichkeit, nach seinem zufälligen Leben, sondern insofern es den unendlichen, absoluten Gegenstand zum Inhalt hat. Denn wird das Subjekt für sich betrachtet, so wird es im endlichen Wissen, im Wissen von Endlichem betrachtet. Ebenso wird auch behauptet, man solle Gott andererseits nicht für sich selbst betrachten, man wisse von Gott nur in Beziehung auf das Bewußtsein,
- so setzt die Einheit und Unzertrenntheit beider Bestimmungen, des Wissens von Gott und
des Selbstbewußtseins, selbst voraus, was in der Identität ausgesprochen ist und eben darin ist die gefürchtete Identität enthalten.

In der Tat sehen wir so in der Bildung der Zeit als allgemeines Element den philosophischen Grundbegriff vorhanden, und es zeigt sich auch hier, wie die Philosophie nicht in der Form über ihrer Zeit stehe, daß sie etwas von deren allgemeiner Bestimmtheit schlechthin Verschiedenes wäre,
sondern ein Geist geht durch die Wirklichkeit und durch das philosophische Denken,
nur daß dieses das wahrhafte Selbstverständnis des Wirklichen ist.
Oder es ist eine Bewegung, von der die Zeit und die Philosophie derselben getragen wird.
Der Unterschied ist nur der, daß die Bestimmtheit der Zeit noch als zufällig vorhanden erscheint,
nicht gerechtfertigt ist und so auch gegen wahrhaft wesentlichen Gehalt noch in einem unversöhnten, feindlichen Verhältnisse stehen kann, während die Philosophie als Rechtfertigung des Prinzips auch die allgemeine Beruhigung und Versöhnung ist.
Wie die Lutherische Reformation den Glauben auf die ersten Jahrhunderte zurückführte,
so hat das Prinzip des unmittelbaren Wissens die christliche Erkenntnis auf die ersten Elemente zurückgeführt; wenn aber diese Reduktion zunächst noch den wesentlichen Inhalt verflüchtigt,
so ist es die Philosophie, welche dies Prinzip des unmittelbaren Wissens selbst als Inhalt erkennt
und als solchen zu seiner wahrhaften Ausbreitung in sich selbst fortführt.

Die Bewußtlosigkeit dessen aber, was sich der Philosophie entgegensetzt, geht ins Grenzenlose.
Gerade Behauptungen, die sich dafür ansehen, die Philosophie zu bestreiten, und ihr am schärfsten entgegengesetzt zu sein meinen, zeigen sich, wenn man ihren Inhalt ansieht, in ihnen selbst in Übereinstimmung mit dem, was sie bekämpfen.
Das Resultat des Studiums der Philosophie hingegen ist, daß diese Scheidewände, die absolut trennen sollen, durchsichtig werden, daß man, wenn man auf den Grund sieht, absolute Übereinstimmung findet, wo man meint, es sei der größte Gegensatz.

 

 

 

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