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G.W.F.Hegel                                                                                                                hegeleliforp03Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse

α. Die Begierde

§ 426

Das Selbstbewußtsein in seiner Unmittelbarkeit ist Einzelnes und Begierde,
- der Widerspruch seiner Abstraktion, welche objektiv sein soll, oder seiner Unmittelbarkeit, welche die Gestalt eines äußeren Objekts hat und subjektiv sein soll. Für die aus dem Aufheben des Bewußtseins hervorgegangene Gewißheit seiner selbst ist das Objekt und für die Beziehung des Selbstbewußtseins auf das Objekt ist seine abstrakte Idealität ebenso als ein Nichtiges bestimmt.

Zusatz.
Wie schon im Zusatz zum vorhergehenden Paragraphen bemerkt wurde, ist die Begierde diejenige Form, in welcher das Selbstbewußtsein auf der ersten Stufe seiner Entwicklung erscheint.
Die Begierde hat hier, im zweiten Hauptteil der Lehre vom subjektiven Geiste, noch keine weitere Bestimmung als die des Triebes, insofern derselbe, ohne durch das Denken bestimmt zu sein, auf ein äußerliches Objekt gerichtet ist, in welchem er sich zu befriedigen sucht.
Daß aber der so bestimmte Trieb im Selbstbewußtsein existiert, davon liegt die Notwendigkeit darin,
daß das Selbstbewußtsein
(wie wir gleichfalls schon im Zusatz zum vorhergehenden Paragraphen bemerklich gemacht haben) zugleich seine ihm zunächst vorangegangene Stufe, nämlich Bewußtsein ist und von diesem inneren Widerspruche weiß. Wo ein mit sich Identisches einen Widerspruch in sich trägt und von dem Gefühl seiner an sich seienden Identität mit sich selber ebenso wie von dem entgegengesetzten Gefühl seines inneren Widerspruchs erfüllt ist, da tritt notwendig der Trieb hervor, diesen Widerspruch aufzuheben.
Das Nichtlebendige hat keinen Trieb, weil es den Widerspruch nicht zu ertragen vermag, sondern zugrunde geht, wenn das Andere seiner selbst in es eindringt. Das Beseelte hingegen und der Geist haben notwendig Trieb, da weder die Seele noch der Geist sein kann, ohne den Widerspruch in sich zu haben und ihn entweder zu fühlen oder von ihm zu wissen. In dem unmittelbaren, daher natürlichen, einzelnen, ausschließenden Selbstbewußtsein hat aber, wie bereits oben angedeutet, der Widerspruch die Gestalt, daß das Selbstbewußtsein, dessen Begriff darin besteht, sich zu sich selber zu verhalten, Ich = Ich zu sein, im Gegenteil zugleich noch zu einem unmittelbaren, nicht ideell gesetzten Anderen, zu einem äußerlichen Objekt, zu einem Nicht-Ich sich verhält und sich selber äußerlich ist, da es, obgleich an sich Totalität, Einheit des Subjektiven und des Objektiven, dennoch zunächst als Einseitiges, als ein nur Subjektives existiert, das erst durch die Befriedigung der Begierde dahin kommt, an und für sich Totalität zu sein. - Trotz jenes inneren Widerspruchs bleibt jedoch das Selbstbewußtsein sich seiner absolut gewiß, weil dasselbe weiß, daß das unmittelbare, äußerliche Objekt keine wahrhafte Realität hat, vielmehr ein Nichtiges gegen das Subjekt, ein bloß scheinbar Selbständiges, in der Tat aber ein solches ist, das nicht verdient und nicht vermag, für sich zu bestehen, sondern durch die reale Macht des Subjekts untergehen muß.

§ 427

Das Selbstbewußtsein weiß sich daher an sich im Gegenstande, der in dieser Beziehung dem Triebe gemäß ist. In der Negation der beiden einseitigen Momente, als der eigenen Tätigkeit des Ich, wird für dasselbe diese Identität. Der Gegenstand kann dieser Tätigkeit keinen Widerstand leisten, als an sich und für das Selbstbewußtsein das Selbstlose; die Dialektik, welche seine Natur ist, sich aufzuheben, existiert hier als jene Tätigkeit des Ich. Das gegebene Objekt wird hierin ebenso subjektiv gesetzt, als die Subjektivität sich ihrer Einseitigkeit entäußert und sich objektiv wird.

Zusatz.
Das selbstbewußte Subjekt weiß sich als an sich mit dem äußerlichen Gegenstande identisch, - weiß, daß dieser die Möglichkeit der Befriedigung der Begierde enthält, daß der Gegenstand also der Begierde gemäß ist und daß eben deswegen diese durch ihn erregt wird.
Die Beziehung auf das Objekt ist dem Subjekt daher notwendig. Das letztere schaut in dem ersteren seinen eigenen Mangel, seine eigene Einseitigkeit an, sieht im Objekt etwas zu seinem eigenen Wesen Gehöriges und dennoch ihm Fehlendes. Diesen Widerspruch ist das Selbstbewußtsein aufzuheben imstande, da dasselbe kein Sein, sondern absolute Tätigkeit ist, und es hebt ihn auf, indem es sich des selbständig zu sein gleichsam nur vorgebenden Gegenstandes bemächtigt, durch Verzehrung desselben sich befriedigt und, da es Selbstzweck ist, in diesem Prozeß sich erhält.
Das Objekt muß dabei zugrunde gehen; denn beide, das Subjekt und das Objekt, sind hier Unmittelbare, und diese können nicht anders in Einem sein als so, daß die Unmittelbarkeit, und zwar zunächst die des selbstlosen Objekts, negiert wird. Durch die Befriedigung der Begierde wird die an sich seiende Identität des Subjekts und des Objekts gesetzt, die Einseitigkeit der Subjektivität und die scheinbare Selbständigkeit des Objekts aufgehoben. Indem aber der Gegenstand von dem begehrenden Selbstbewußtsein vernichtet wird, kann er einer durchaus fremden Gewalt zu unterliegen scheinen.
Dies ist jedoch nur ein Schein. Denn das unmittelbare Objekt muß sich seiner eigenen Natur, seinem Begriffe nach, aufheben, da es in seiner Einzelheit der Allgemeinheit seines Begriffes nicht entspricht.
Das Selbstbewußtsein ist der erscheinende Begriff des Objektes selber. In der Vernichtung des Gegenstandes durch das Selbstbewußtsein geht dieser daher durch die Macht seines eigenen, ihm nur innerlichen und eben deshalb nur von außen an ihn zu kommen scheinenden Begriffes unter.
So wird das Objekt subjektiv gesetzt. Aber durch diese Aufhebung des Objektes hebt, wie schon bemerkt, das Subjekt auch seinen eigenen Mangel, sein Zerfallen in ein unterschiedsloses Ich = Ich und in ein auf ein äußerliches Objekt bezogenes Ich auf und gibt ebensosehr seiner Subjektivität Objektivität, wie es sein Objekt subjektiv macht.

§ 428

Das Produkt dieses Prozesses ist, daß Ich sich mit sich selbst zusammenschließt und hierdurch für sich befriedigt, Wirkliches ist. Nach der äußerlichen Seite bleibt es in dieser Rückkehr zunächst als Einzelnes bestimmt und hat sich als solches erhalten, weil es sich auf das selbstlose Objekt nur negativ bezieht, dieses insofern nur aufgezehrt wird. Die Begierde ist so in ihrer Befriedigung überhaupt zerstörend wie ihrem Inhalte nach selbstsüchtig, und da die Befriedigung nur im Einzelnen geschehen, dieses aber vorübergehend ist, so erzeugt sich in der Befriedigung wieder die Begierde.

Zusatz.
Das Verhältnis der Begierde zum Gegenstande ist noch durchaus das des selbstsüchtigen Zerstörens, nicht das des Bildens. Insofern das Selbstbewußtsein als bildende Tätigkeit sich auf den Gegenstand bezieht, bekommt dieser nur die in ihm ein Bestehen gewinnende Form des Subjektiven, wird aber seinem Stoffe nach erhalten. Durch die Befriedigung des in der Begierde befangenen Selbstbewußtseins hingegen wird, da dieses das Andere als ein Unabhängiges noch nicht zu ertragen die Kraft besitzt, die Selbständigkeit des Objektes zerstört, so daß die Form des Subjektiven in demselben zu keinem Bestehen gelangt.
Wie der Gegenstand der Begierde und diese selber, so ist aber notwendigerweise auch die Befriedigung der Begierde etwas Einzelnes, Vorübergehendes, der immer von neuem erwachenden Begierde Weichendes, eine mit der Allgemeinheit des Subjektes beständig in Widerspruch bleibende und gleichwohl durch den gefühlten Mangel der unmittelbaren Subjektivität immer wieder angeregte Objektivierung, die niemals ihr Ziel absolut erreicht, sondern nur den Progreß ins Unendliche herbeiführt.

§ 429

Aber das Selbstgefühl, das ihm in der Befriedigung wird, bleibt nach der inneren Seite oder an sich nicht im abstrakten Fürsichsein oder in seiner Einzelheit, sondern als die Negation der Unmittelbarkeit und der Einzelheit enthält das Resultat die Bestimmung der Allgemeinheit und der Identität des Selbstbewußtseins mit seinem Gegenstande. Das Urteil oder die Diremtion dieses Selbstbewußtseins ist das Bewußtsein eines freien Objekts, in welchem Ich das Wissen seiner als Ich hat, das aber auch noch außer ihm ist.

Zusatz.
Nach der äußerlichen Seite bleibt, wie im Zusatze zum vorhergehenden Paragraphen bemerkt wurde, das unmittelbare Selbstbewußtsein in dem ins Unendliche sich fortsetzenden langweiligen Wechsel der Begierde und der Befriedigung derselben, in der aus ihrer Objektivierung immer wieder in sich zurückfallenden Subjektivität befangen.
Nach der inneren Seite dagegen, oder dem Begriffe nach, hat das Selbstbewußtsein, durch Aufhebung seiner Subjektivität und des äußerlichen Gegenstandes, seine eigene Unmittelbarkeit, den Standpunkt der Begierde negiert, sich mit der Bestimmung des Anderssein gegen sich selber gesetzt, das Andere mit dem Ich erfüllt, aus etwas Selbstlosem zu einem freien, zu einem selbstischen Objekt, zu einem anderen Ich gemacht, - somit sich als ein unterschiedenes Ich sich selber gegenübergestellt, dadurch aber sich über die Selbstsucht der bloß zerstörenden Begierde erhoben.                    
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