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G.W.F.Hegel                                                                              hegeleliforp03
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse

b. Dasein

§ 89

Das Sein im Werden als eins mit dem Nichts, so das Nichts eins mit dem Sein sind nur Verschwindende; das Werden fällt durch seinen Widerspruch in sich in die Einheit, in der beide aufgehoben sind, zusammen; sein Resultat ist somit das Dasein.

Es ist an diesem ersten Beispiele ein für allemal an das zu erinnern, was § 82 und Anm. daselbst angegeben ist; was allein einen Fortgang und eine Entwicklung im Wissen begründen kann, ist, die Resultate in ihrer Wahrheit festzuhalten. Wenn in irgendeinem Gegenstande oder Begriff der Widerspruch aufgezeigt wird (und es ist überall gar nichts, worin nicht der Widerspruch, d. i. entgegengesetzte Bestimmungen aufgezeigt werden können und müssen; das Abstrahieren des Verstandes ist das gewaltsame Festhalten an einer Bestimmtheit, eine Anstrengung, das Bewußtsein der anderen, die darin liegt, zu verdunkeln und zu entfernen), - wenn nun solcher Widerspruch erkannt wird, so pflegt man den Schlußsatz zu machen:
"Also ist dieser Gegenstand nichts"; wie Zenon zuerst von der Bewegung zeigte, daß sie sich widerspreche, daß sie also nicht sei, oder wie die Alten das Entstehen und Vergehen, die zwei Arten des Werdens, für unwahre Bestimmungen mit dem Ausdrucke erkannten, daß das Eine, d. i. das Absolute, nicht entstehe noch vergehe. Diese Dialektik bleibt so bloß bei der negativen Seite des Resultates stehen und abstrahiert von dem, was zugleich wirklich vorhanden ist, ein bestimmtes Resultat, hier ein reines Nichts, aber Nichts, welches das Sein, und ebenso ein Sein, welches das Nichts in sich schließt.
So ist 1. das Dasein die Einheit des Seins und des Nichts, in der die Unmittelbarkeit dieser Bestimmungen und damit in ihrer Beziehung ihr Widerspruch verschwunden ist, - eine Einheit, in der sie nur noch Momente sind;
2. da das Resultat der aufgehobene Widerspruch ist, so ist es in der Form einfacher Einheit mit sich oder selbst als ein Sein, aber ein Sein mit der Negation oder Bestimmtheit; es ist das Werden in der Form des einen seiner Momente, des Seins, gesetzt.

Zusatz.
Auch in unserer Vorstellung ist dies enthalten, daß, wenn ein Werden ist, etwas dabei herauskommt und daß somit das Werden ein Resultat hat. Hier entsteht dann aber die Frage, wie das Werden dazu kommt, nicht bloßes Werden zu bleiben, sondern ein Resultat zu haben.
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem, was sich uns vorher als das Werden gezeigt hat.
Das Werden enthält nämlich in sich das Sein und das Nichts, und zwar so, daß diese beiden schlechthin ineinander umschlagen und sich einander gegenseitig aufheben.
Hiermit erweist sich das Werden als das durchaus Rastlose, welches sich aber in dieser abstrakten Rastlosigkeit nicht zu erhalten vermag; denn indem Sein und Nichts im Werden verschwinden und nur dieses sein Begriff ist, so ist es hiermit selbst ein Verschwindendes, ein Feuer gleichsam, welches in sich selbst erlischt, indem es sein Material verzehrt.
Das Resultat aber dieses Prozesses ist nicht das leere Nichts, sondern das mit der Negation identische Sein, welches wir Dasein nennen und als dessen Bedeutung sich zunächst dies erweist, geworden zu sein.

§ 90

α) Das Dasein ist Sein mit einer Bestimmtheit, die als unmittelbare oder seiende Bestimmtheit ist, die Qualität. Das Dasein als in dieser seiner Bestimmtheit in sich reflektiert ist Daseiendes, Etwas.
- Die Kategorien, die sich an dem Dasein entwickeln, sind nur summarisch anzugeben.

Zusatz.
Die Qualität ist überhaupt die mit dem Sein identische, unmittelbare Bestimmtheit, im Unterschied von der demnächst zu betrachtenden Quantität, welche zwar gleichfalls Bestimmtheit des Seins, jedoch nicht mehr mit demselben unmittelbar identische, sondern gegen das Sein gleichgültige, demselben äußerliche Bestimmtheit ist.
- Etwas ist durch seine Qualität das, was es ist, und indem es seine Qualität verliert, so hört es damit auf, das zu sein, was es ist. Weiter ist die Qualität wesentlich nur eine Kategorie des Endlichen, die um deswillen auch nur in der Natur und nicht in der geistigen Welt ihre eigentliche Stelle hat.
So sind z. B. in der Natur die sogenannten einfachen Stoffe, Sauerstoff, Stickstoff usw., als existierende Qualitäten zu betrachten.
In der Sphäre des Geistes dagegen kommt die Qualität nur in einer untergeordneten Weise vor und nicht so, als ob dadurch irgendeine bestimmte Gestalt des Geistes erschöpft würde. Betrachten wir z. B. den subjektiven Geist, welcher den Gegenstand der Psychologie bildet, so können wir zwar sagen, die logische Bedeutung dessen, was man Charakter nennt, sei die der Qualität, welches jedoch nicht so zu verstehen ist, als sei der Charakter ebenso eine die Seele durchdringende und mit derselben unmittelbar identische Bestimmtheit, wie dies in der Natur mit den vorher erwähnten einfachen Stoffen der Fall ist.
Dahingegen zeigt sich die Qualität bestimmter als solche auch am Geiste, insofern sich derselbe in einem unfreien, krankhaften Zustande befindet. Dies ist namentlich der Fall mit dem Zustand der Leidenschaft und der zur Verrücktheit gesteigerten Leidenschaft. Von einem Verrückten, dessen Bewußtsein ganz von Eifersucht, Furcht usw. durchdrungen ist, kann man füglich sagen, sein Bewußtsein sei als Qualität bestimmt.

§ 91

Die Qualität als seiende Bestimmtheit gegenüber der in ihr enthaltenen, aber von ihr unterschiedenen Negation ist Realität. Die Negation, nicht mehr das abstrakte Nichts, sondern als ein Dasein und Etwas, ist nur Form an diesem, sie ist als Anderssein. Die Qualität, indem dies Anderssein ihre eigene Bestimmung, aber zunächst von ihr unterschieden ist, ist Sein-für-Anderes, - eine Breite des Daseins, des Etwas.
Das Sein der Qualität als solches, gegenüber dieser Beziehung auf Anderes, ist das Ansichsein.

Zusatz.
Die Grundlage aller Bestimmtheit ist die Negation (omnis determinatio est negatio, wie Spinoza sagt). Das gedankenlose Meinen betrachtet die bestimmten Dinge als nur positiv und hält dieselben unter der Form des Seins fest. Mit dem bloßen Sein ist es indes nicht abgetan, denn dieses ist, wie wir früher gesehen haben, das schlechthin Leere und zugleich Haltlose. (Übrigens liegt in der hier erwähnten Verwechslung des Daseins, als des bestimmten Seins, mit dem abstrakten Sein das Richtige, daß im Dasein allerdings das Moment der Negation gleichsam nur erst als eingehüllt enthalten ist, welches Moment der Negation dann erst im Fürsichsein frei hervortritt und zu seinem Rechte gelangt.
- Betrachten wir nun ferner das Dasein als seiende Bestimmtheit, so haben wir an demselben dasjenige,
was man unter Realität versteht. Man spricht so z. B. von der Realität eines Plans oder einer Absicht und versteht dann darunter, daß dergleichen nicht mehr ein nur Inneres, Subjektives, sondern ins Dasein herausgetreten sei. In demselben Sinn kann dann auch der Leib die Realität der Seele und dies Recht die Realität der Freiheit oder, ganz allgemein, die Welt die Realität des göttlichen Begriffs genannt werden. Weiter pflegt nun aber auch von der Realität noch in einem anderen Sinn gesprochen und darunter dies verstanden zu werden, daß etwas sich seiner wesentlichen Bestimmung oder seinem Begriff gemäß verhält. So z. B., wenn gesagt wird: dies ist eine reelle Beschäftigung, oder: dies ist ein reeller Mensch. Hier ist es nicht das unmittelbare, äußere Dasein, um welches es sich handelt, sondern vielmehr die Übereinstimmung eines Daseienden mit seinem Begriff. So aufgefaßt ist dann aber die Realität auch nicht weiter von der Idealität, die wir zunächst als Fürsichsein kennenlernen werden, unterschieden.

§ 92

β) Das von der Bestimmtheit als unterschieden festgehaltene Sein, das Ansichsein, wäre nur die leere Abstraktion des Seins. Im Dasein ist die Bestimmtheit eins mit dem Sein, welche zugleich als Negation gesetzt, Grenze, Schranke ist. Daher ist das Anderssein nicht ein Gleichgültiges außer ihm, sondern sein eigenes Moment. Etwas ist durch seine Qualität erstlich endlich und zweitens veränderlich, so daß die Endlichkeit und Veränderlichkeit seinem Sein angehört.

Zusatz.
Die Negation ist im Dasein mit dem Sein noch unmittelbar identisch, und diese Negation ist das, was wir Grenze heißen. Etwas ist nur in seiner Grenze und durch seine Grenze das, was es ist. Man darf somit die Grenze nicht als dem Dasein bloß äußerlich betrachten, sondern dieselbe geht vielmehr durch das ganze Dasein hindurch. Die Auffassung der Grenze als einer bloß äußerlichen Bestimmung des Daseins hat ihren Grund in der Verwechslung der quantitativen mit der qualitativen Grenze. Hier ist zunächst von der qualitativen Grenze die Rede. Betrachten wir z. B. ein Grundstück, welches drei Morgen groß ist, so ist dies seine quantitative Grenze. Weiter ist nun aber auch dieses Grundstück eine Wiese und nicht Wald oder Teich, und dies ist seine qualitative Grenze.
- Der Mensch, insofern er wirklich sein will, muß dasein, und zu dem Ende muß er sich begrenzen.
Wer gegen das Endliche zu ekel ist, der kommt zu gar keiner Wirklichkeit, sondern er verbleibt im Abstrakten und verglimmt in sich selbst.
Betrachten wir nunmehr näher, was wir an der Grenze haben, so finden wir, wie dieselbe einen Widerspruch in sich enthält und sich somit als dialektisch erweist. Die Grenze macht nämlich einerseits die Realität des Daseins aus, und andererseits ist sie dessen Negation.
Weiter ist nun aber die Grenze als die Negation des Etwas nicht ein abstraktes Nichts überhaupt, sondern ein seiendes Nichts oder dasjenige, was wir ein Anderes heißen. Beim Etwas fällt uns sogleich das Andere ein, und wir wissen, daß es nicht nur Etwas sondern auch noch Anderes gibt.
Nun aber ist das Andere nicht ein solches, welches wir nur so finden, dergestalt, daß Etwas auch ohne dasselbe gedacht werden könnte, sondern Etwas ist an sich das Andere seiner selbst, und dem Etwas wird im Anderen seine Grenze objektiv. Fragen wir nunmehr nach dem Unterschied zwischen dem Etwas und dem Anderen, so zeigt es sich, daß beide dasselbe sind, welche Identität dann auch im Lateinischen durch die Bezeichnung beider als aliud-aliud ausgedrückt ist. Das Andere, dem Etwas gegenüber, ist selbst ein Etwas, und wir sagen demgemäß: etwas Anderes; ebenso ist andererseits das erste Etwas, dem gleichfalls als Etwas bestimmten Anderen gegenüber, selbst ein Anderes. Wenn wir sagen: etwas Anderes, so stellen wir uns zunächst vor, Etwas, für sich genommen, sei nur Etwas, und die Bestimmung, ein Anderes zu sein, komme demselben nur durch eine bloß äußerliche Betrachtung zu. Wir meinen so z. B., der Mond, welcher etwas anderes ist als die Sonne, könnte wohl auch sein, wenn die Sonne nicht wäre. In der Tat aber hat der Mond (als Etwas) sein Anderes an ihm selbst, und dies macht seine Endlichkeit aus.
Platon sagt:
"Gott hat die Welt aus der Natur des Einen und des Anderen (του ετεου) gemacht; diese hat er zusammengebracht und daraus ein Drittes gebildet, welches von der Natur des Einen und des Anderen ist."*) - Hiermit ist überhaupt die Natur des Endlichen ausgesprochen, welches als Etwas dem Anderen nicht gleichgültig gegenübersteht, sondern an sich das Andere seiner selbst ist und hiermit sich verändert.
In der Veränderung zeigt sich der innere Widerspruch, mit welchem das Dasein von Haus aus behaftet ist und welcher dasselbe über sich hinaustreibt. Für die Vorstellung erscheint das Dasein zunächst als einfach positiv und zugleich als innerhalb seiner Grenze ruhig beharrend; wir wissen dann zwar auch, daß alles Endliche (und ein solches ist das Dasein) der Veränderung unterworfen ist. Allein diese Veränderlichkeit des Daseins erscheint der Vorstellung als eine bloße Möglichkeit, deren Realisierung nicht in ihm selbst begründet ist. In der Tat aber liegt es im Begriff des Daseins, sich zu verändern, und die Veränderung ist nur die Manifestation dessen, was das Dasein an sich ist. Das Lebendige stirbt, und zwar einfach um deswillen, weil es als solches den Keim des Todes in sich selbst trägt.

§ 93

Etwas wird ein Anderes, aber das Andere ist selbst ein Etwas, also wird es gleichfalls ein Anderes, und so fort ins Unendliche

§ 94

Diese Unendlichkeit ist die schlechte oder negative Unendlichkeit, indem sie nichts ist als die Negation des Endlichen, welches aber ebenso wieder entsteht, somit ebensosehr nicht aufgehoben ist, - oder diese Unendlichkeit drückt nur das Sollen des Aufhebens des Endlichen aus. Der Progreß ins Unendliche bleibt bei dem Aussprechen des Widerspruchs stehen, den das Endliche enthält, daß es sowohl Etwas ist als sein Anderes, und ist das perennierende Fortsetzen des Wechsels dieser einander herbeiführenden Bestimmungen.

Zusatz.
Wenn wir die Momente des Daseins, Etwas und Anderes, auseinanderfallen lassen, so haben wir dieses: Etwas wird ein Anderes, und dieses Andere ist selbst ein Etwas, welches als solches sich dann gleichfalls verändert, und so fort ins Unendliche. Die Reflexion meint hier zu etwas sehr Hohem, ja zum Höchsten gekommen zu sein. Dieser Progreß ins Unendliche ist nun aber nicht das wahrhaft Unendliche, welches vielmehr darin besteht, in seinem Anderen bei sich selbst zu sein oder, als Prozeß ausgesprochen,
in seinem Anderen zu sich selbst zu kommen. Es ist von großer Wichtigkeit, den Begriff der wahren Unendlichkeit gehörig zu fassen und nicht bloß bei der schlechten Unendlichkeit des unendlichen Progresses stehenzubleiben. Wenn von der Unendlichkeit des Raumes und der Zeit die Rede ist, so ist es zunächst der unendliche Progreß, an welchen man sich zu halten pflegt.
Man sagt so z. B.: "diese Zeit", "jetzt", und über diese Grenze wird dann fortwährend hinausgegangen, rückwärts und vorwärts. Ebenso ist es mit dem Raume, über dessen Unendlichkeit von erbaulichen Astronomen viele leere Deklamationen vorgebracht werden.
Es pflegt dann wohl auch behauptet zu werden, das Denken müsse erliegen, wenn es sich an die Betrachtung dieser Unendlichkeit begebe.
So viel ist nun allerdings richtig, daß wir es zuletzt bleiben lassen, in solcher Betrachtung weiter und immer weiter vorzuschreiten, jedoch nicht um der Erhabenheit, sondern um der Langweiligkeit dieses Geschäfts willen. Langweilig ist das Sich-Ergehen in der Betrachtung dieses unendlichen Progresses um deswillen,
weil hier fortwährend dasselbe wiederholt wird. Eine Grenze wird gesetzt, darüber wird hinausgegangen, dann abermals eine Grenze, und so fort ins Endlose. Wir haben hier also nichts als eine oberflächliche Abwechslung, die immer im Endlichen stehenbleibt. Wenn man meint, durch das Hinausschreiten in jene Unendlichkeit sich vom Endlichen zu befreien, so ist dies in der Tat nur die Befreiung der Flucht.
Der Fliehende aber ist noch nicht frei, denn er ist im Fliehen noch durch dasjenige bedingt, wovor er flieht. Sagt man dann weiter, das Unendliche sei nicht zu erreichen, so ist dies ganz richtig, aber nur um deswillen, weil die Bestimmung, etwas abstrakt Negatives zu sein, in dasselbe gelegt wird. Die Philosophie treibt sich nicht mit solchem Leeren und bloß Jenseitigen herum. Das, womit die Philosophie es zu tun hat, ist immer ein Konkretes und schlechthin Gegenwärtiges.
- Man hat wohl auch die Aufgabe der Philosophie so gestellt, daß dieselbe die Frage zu beantworten habe, wie das Unendliche sich dazu entschließe, aus sich selbst herauszugehen.
Auf diese Frage, welcher die Voraussetzung eines festen Gegensatzes von Unendlichem und Endlichem zugrunde liegt, ist nur zu antworten, daß dieser Gegensatz ein Unwahres und daß das Unendliche in der Tat ewig aus sich heraus und ewig auch nicht aus sich heraus ist. - Wenn wir übrigens sagen, das Unendliche sei das Nichtendliche, so haben wir damit in der Tat das Wahre schon ausgesprochen, denn das Nichtendliche ist, da das Endliche selbst das erste Negative ist, das Negative der Negation, die mit sich identische Negation und somit zugleich wahre Affirmation.
Die hier besprochene Unendlichkeit der Reflexion ist nur der Versuch, die wahre Unendlichkeit
zu erreichen, ein unglückseliges Mittelding. Es ist dies überhaupt derjenige Standpunkt der Philosophie, welcher in der neueren Zeit in Deutschland geltend gemacht worden ist.
Das Endliche soll hier nur aufgehoben werden, und das Unendliche soll nicht bloß ein Negatives, sondern auch ein Positives sein.
In diesem Sollen liegt immer die Ohnmacht, daß etwas anerkannt wird als berechtigt und daß sich dasselbe doch nicht geltend zu machen vermag. Die Kantische und die Fichtesche Philosophie sind rücksichtlich des Ethischen auf diesem Standpunkt des Sollens stehengeblieben. Die perennierende Annäherung an das Vernunftgesetz ist das Äußerste, wozu man auf diesem Wege gelangt. Man hat dann auf dieses Postulat auch die Unsterblichkeit der Seele begründet.

§ 95

γ) Was in der Tat vorhanden ist, ist, daß Etwas zu Anderem und das Andere überhaupt zu Anderem wird. Etwas ist im Verhältnis zu einem Anderen selbst schon ein Anderes gegen dasselbe; somit da das, in welches es übergeht, ganz dasselbe ist, was das, welches übergeht - beide haben keine weitere als eine und dieselbe Bestimmung, ein Anderes zu sein -, so geht hiermit Etwas in seinem Übergehen in Anderes nur mit sich selbst zusammen, und diese Beziehung im Übergehen und im Anderen auf sich selbst ist die wahrhafte Unendlichkeit. Oder negativ betrachtet: was verändert wird, ist das Andere, es wird das Andere des Anderen. So ist das Sein, aber als Negation der Negation, wieder hergestellt und ist das Fürsichsein.

Der Dualismus, welcher den Gegensatz von Endlichem und Unendlichem unüberwindlich macht, macht die einfache Betrachtung nicht, daß auf solche Weise sogleich das Unendliche nur das eine der beiden ist, daß es hiermit zu einem nur Besonderen gemacht wird, wozu das Endliche das andere Besondere ist.
Ein solches Unendliches, welches nur ein Besonderes ist, neben dem Endlichen ist, an diesem eben damit seine Schranke, Grenze hat, ist nicht das, was es sein soll, nicht das Unendliche, sondern ist nur endlich. - In solchem Verhältnisse, wo das Endliche hüben, das Unendliche drüben, das erste diesseits, das andere jenseits gestellt ist, wird dem Endlichen die gleiche Würde des Bestehens und der Selbständigkeit mit dem Unendlichen zugeschrieben; das Sein des Endlichen wird zu einem absoluten Sein gemacht; es steht in solchem Dualismus fest für sich. Vom Unendlichen sozusagen berührt, würde es vernichtigt; aber es soll vom Unendlichen nicht berührt werden können, es soll ein Abgrund, eine unübersteigbare Kluft zwischen beiden sich befinden, das Unendliche schlechthin drüben und das Endliche hüben verharren.
Indem die Behauptung von dem festen Beharren des Endlichen dem Unendlichen gegenüber über alle Metaphysik hinweg zu sein meint, steht sie ganz nur auf dem Boden der ordinärsten Verstandesmetaphysik. Es geschieht hier dasselbe, was der unendliche Progreß ausdrückt: das eine Mal wird zugegeben, daß das Endliche nicht an und für sich sei, daß ihm nicht selbständige Wirklichkeit, nicht absolutes Sein zukomme, daß es nur ein Vorübergehendes ist; das andere Mal wird dies sogleich vergessen und das Endliche dem Unendlichen nur gegenüber, schlechthin getrennt von demselben und der Vernichtung entnommen, als selbständig, für sich beharrend vorgestellt. - Indem das Denken auf solche Weise sich zum Unendlichen zu erheben meint, so widerfährt ihm das Gegenteil, - zu einem Unendlichen zu kommen, das nur ein Endliches ist, und das Endliche, welches von ihm verlassen worden, vielmehr immer beizubehalten, zu einem Absoluten zu machen.
Wenn man nach der angestellten Betrachtung der Nichtigkeit des Verstandesgegensatzes vom Endlichen und Unendlichen (womit Platons Philebos mit Nutzen verglichen werden kann) auch hier leicht auf den Ausdruck verfallen kann, daß das Unendliche und Endliche hiermit eins sei, daß das Wahre, die wahrhafte Unendlichkeit als Einheit des Unendlichen und Endlichen bestimmt und ausgesagt werde, so enthält solcher Ausdruck zwar Richtiges, aber er ist ebensosehr schief und falsch, wie vorhin von der Einheit des Seins und Nichts bemerkt worden ist. Er führt ferner auf den gerechten Vorwurf von der Verendlichung der Unendlichkeit, von einem endlichen Unendlichen. Denn in jenem Ausdruck erscheint das Endliche als belassen; es wird nicht ausdrücklich als aufgehoben ausgedrückt.
- Oder indem darauf reflektiert würde, daß es, als eins mit dem Unendlichen gesetzt, allerdings nicht bleiben könnte, was es außer dieser Einheit war, und wenigstens an seiner Bestimmung etwas litte
(wie das Kali mit der Säure verbunden von seinen Eigenschaften verliert), so widerführe eben dies dem Unendlichen, das als das Negative seinerseits gleichfalls an dem Anderen abgestumpft würde.
In der Tat geschieht solches auch dem abstrakten, einseitigen Unendlichen des Verstandes.
Aber das wahrhafte Unendliche verhält sich nicht bloß wie die einseitige Säure, sondern es erhält sich; die Negation der Negation ist nicht eine Neutralisation; das Unendliche ist das Affirmative und nur das Endliche das Aufgehobene.
Im Fürsichsein ist die Bestimmung der Idealität eingetreten. Das Dasein, zunächst nur nach seinem Sein oder seiner Affirmation aufgefaßt, hat Realität (§ 91), somit ist auch die Endlichkeit zunächst in der Bestimmung der Realität. Aber die Wahrheit des Endlichen ist vielmehr seine Idealität. Ebensosehr ist auch das Verstandes-Unendliche, welches, neben das Endliche gestellt, selbst nur eins der beiden Endlichen ist, ein unwahres, ein ideelles.
Diese Idealität des Endlichen ist der Hauptsatz der Philosophie, und jede wahrhafte Philosophie ist deswegen Idealismus. Es kommt allein darauf ein, nicht das für das Unendliche zu nehmen, was in seiner Bestimmung selbst sogleich zu einem Besonderen und Endlichen gemacht wird.
- Auf diesen Unterschied ist deswegen hier weitläufiger aufmerksam gemacht worden; der Grundbegriff der Philosophie, das wahrhafte Unendliche, hängt davon ab. Dieser Unterschied erledigt sich durch die ganz einfachen, darum vielleicht unscheinbaren, aber unwiderleglichen Reflexionen, die im § enthalten sind

.

*) vgl. Timaios, Steph. 34 f.

 

 

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