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G.W.F.Hegel                                                                              hegeleliforp03
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse

 

A. Qualität

a. Sein

§ 86

Das reine Sein macht den Anfang, weil es sowohl reiner Gedanke als das unbestimmte, einfache Unmittelbare ist, der erste Anfang aber nichts Vermitteltes und weiter Bestimmtes sein kann.

Alle Zweifel und Erinnerungen, die gegen das Anfangen der Wissenschaft mit dem abstrakten leeren Sein gemacht werden könnten, erledigen sich durch das einfache Bewußtsein dessen, was die Natur des Anfangs mit sich bringt.
Sein kann bestimmt werden als Ich = Ich, als die absolute Indifferenz oder Identität usf.
Im Bedürfnisse, entweder mit einem schlechthin Gewissen, d. i. der Gewißheit seiner selbst, oder mit einer Definition oder Anschauung des absoluten Wahren anzufangen, können diese und andere dergleichen Formen dafür angesehen werden, daß sie die ersten sein müssen. Aber indem innerhalb jeder dieser Formen bereits Vermittlung ist, so sind sie nicht wahrhaft die ersten; die Vermittlung ist ein Hinausgegangensein aus einem Ersten zu einem Zweiten und Hervorgehen aus Unterschiedenen.
Wenn Ich = Ich oder auch die intellektuelle Anschauung wahrhaft als nur das Erste genommen wird, so ist es in dieser reinen Unmittelbarkeit nichts anderes als Sein, so wie das reine Sein umgekehrt als nicht mehr dieses abstrakte, sondern in sich die Vermittlung enthaltende Sein, reines Denken oder Anschauen ist.
Wird Sein als Prädikat des Absoluten ausgesagt, so gibt dies die erste Definition desselben:
Das Absolute ist das Sein. Es ist dies die (im Gedanken) schlechthin anfängliche, abstrakteste und dürftigste. Sie ist die Definition der Eleaten, aber zugleich auch das Bekannte, daß Gott der Inbegriff aller Realitäten ist. Es soll nämlich von der Beschränktheit, die in jeder Realität ist, abstrahiert werden, so daß Gott nur das Reale in aller Realität, das Allerrealste sei. Indem Realität bereits eine Reflexion enthält, so ist dies unmittelbarer in dem ausgesprochen, was Jacobi von dem Gotte des Spinoza sagt, daß er das Principium des Seins in allem Dasein sei. 

Zusatz 1.
Wir haben, wenn angefangen wird zu denken, nichts als den Gedanken in seiner reinen Bestimmungslosigkeit, denn zur Bestimmung gehört schon Eines und ein Anderes; im Anfang aber haben wir noch kein Anderes. Das Bestimmungslose, wie wir es hier haben, ist das Unmittelbare, nicht die vermittelte Bestimmungslosigkeit, nicht die Aufhebung aller Bestimmtheit, sondern die Unmittelbarkeit der Bestimmungslosigkeit, die Bestimmungslosigkeit vor aller Bestimmtheit, das Bestimmungslose als Allererstes. Dies aber nennen wir das Sein. Dieses ist nicht zu empfinden, nicht anzuschauen und nicht vorzustellen, sondern es ist der reine Gedanke, und als solcher macht es den Anfang. Auch das Wesen ist ein Bestimmungsloses, aber das Bestimmungslose, welches als bereits durch die Vermittlung gegangen die Bestimmung schon als aufgehoben in sich enthält.

Zusatz 2.
Die verschiedenen Stufen der logischen Idee finden wir in der Geschichte der Philosophie in der Gestalt nacheinander hervorgetretener philosophischer Systeme, deren jedes eine besondere Definition des Absoluten zu seiner Grundlage hat. So wie nun die Entfaltung der logischen Idee sich als ein Fortgang vom Abstrakten zum Konkreten erweist, ebenso sind dann auch in der Geschichte der Philosophie die frühesten Systeme die abstraktesten und damit zugleich die ärmsten.
Das Verhältnis aber der früheren zu den späteren philosophischen Systemen ist im allgemeinen dasselbe wie das Verhältnis der früheren zu den späteren Stufen der logischen Idee, und zwar von der Art, daß die früheren die späteren als aufgehoben in sich enthalten. Dies ist die wahre Bedeutung der in der Geschichte der Philosophie vorkommenden und so oft mißverstandenen Widerlegung des einen philosophischen Systems durch ein anderes, und näher des früheren durch die späteren. Wenn vom Widerlegen einer Philosophie die Rede ist, so pflegt dies zunächst nur im abstrakt negativen Sinn genommen zu werden, dergestalt, daß die widerlegte Philosophie überhaupt nicht mehr gilt, daß dieselbe beseitigt und abgetan ist. Wenn dem so wäre, so müßte das Studium der Geschichte der Philosophie als ein durchaus trauriges Geschäft betrachtet werden, da dieses Studium lehrt, wie alle im Verlauf der Zeit hervorgetretenen philosophischen Systeme ihre Widerlegung gefunden haben.
Nun aber muß, ebensogut als zuzugeben ist, daß alle Philosophie widerlegt worden sind, zugleich auch behauptet werden, daß keine Philosophie widerlegt worden ist noch auch widerlegt zu werden vermag.
Letzteres ist in der gedoppelten Beziehung der Fall, als einmal eine jede Philosophie, welche diesen Namen verdient, die Idee überhaupt zu ihrem Inhalt hat und als zweitens ein jedes philosophisches System als die Darstellung eines besonderen Momentes oder einer besonderen Stufe im Entwicklungsprozeß der Idee zu betrachten ist.
Das Widerlegen einer Philosophie hat also nur den Sinn, daß deren Schranke überschritten und daß das bestimmte Prinzip derselben zu einem ideellen Moment herabgesetzt wird.
Die Geschichte der Philosophie hat es somit ihrem wesentlichen Inhalt nach nicht mit Vergangenem,
sondern mit Ewigem und schlechthin Gegenwärtigem zu tun und ist in ihrem Resultat nicht einer Galerie von Verirrungen des menschlichen Geistes, sondern vielmehr einem Pantheon von Göttergestalten zu vergleichen. Diese Göttergestalten aber sind die verschiedenen Stufen der Idee, wie solche in dialektischer Entwicklung nacheinander hervortreten. Während es nun der Geschichte der Philosophie überlassen bleibt, näher nachzuweisen, inwiefern die in derselben stattfindende Entfaltung ihres Inhalts mit der dialektischen Entfaltung der reinen logischen Idee einerseits übereinstimmt und andererseits von derselben abweicht, so ist hier zunächst nur zu erwähnen, daß der Anfang der Logik derselbe ist wie der Anfang der eigentlichen Geschichte der Philosophie. Diesen Anfang finden wir in der eleatischen und näher in der Philosophie des Parmenides, welcher das Absolute als das Sein auffaßt, indem er sagt: "das Sein nur ist, und das Nichts ist nicht". Es ist dies um deswillen als der eigentliche Anfang der Philosophie zu betrachten, weil die Philosophie überhaupt denkendes Erkennen, hier aber zuerst das reine Denken festgehalten und sich selbst gegenständlich geworden ist.
Gedacht haben zwar die Menschen von Anfang an, denn nur durch das Denken unterscheiden sie sich von den Tieren; allein es haben Jahrtausende dazu gehört, bevor es dazu gekommen ist, das Denken in seiner Reinheit und dasselbe zugleich als das schlechthin Objektive zu erfassen.
Die Eleaten sind berühmt als kühne Denker; zu dieser abstrakten Bewunderung gesellt sich dann aber häufig die Bemerkung, diese Philosophen seien doch zu weit gegangen, indem dieselben bloß das Sein als das Wahre anerkannt und allem, was sonst noch den Gegenstand unseres Bewußtseins bildet, die Wahrheit abgesprochen. Nun ist es zwar ganz richtig, daß beim bloßen Sein nicht stehengeblieben werden darf; allein es ist gedankenlos, den sonstigen Inhalt unseres Bewußtseins als gleichsam neben und außer dem Sein befindlich oder als etwas zu betrachten, was es nur auch gibt.
Das wahre Verhältnis ist dagegen dieses, daß das Sein als solches nicht ein Festes und Letztes, sondern vielmehr als dialektisch in sein Entgegengesetztes umschlägt, welches, gleichfalls unmittelbar genommen, das Nichts ist.
Es bleibt somit dabei, daß das Sein der erste reine Gedanke ist und daß, womit auch sonst der Anfang gemacht werden mag (mit dem Ich = Ich, mit der absoluten Indifferenz oder mit Gott selbst), dies Sonstige zunächst nur ein Vorgestelltes und nicht ein Gedachtes, und daß dasselbe seinem Gedankeninhalt nach eben nur das Sein ist.

§ 87

Dieses reine Sein ist nun die reine Abstraktion, damit das Absolut-Negative, welches, gleichfalls unmittelbar genommen, das Nichts ist.

1. Es folgte hieraus die zweite Definition des Absoluten, daß es das Nichts ist; in der Tat ist sie darin enthalten, wenn gesagt wird, daß das Ding-an-sich das Unbestimmte, schlechthin Form- und damit Inhaltslose ist, - oder auch, daß Gott nur das höchste Wesen und sonst weiter nichts ist, denn als solches ist er als ebendieselbe Negativität ausgesprochen; das Nichts, das die Buddhisten zum Prinzip von allem wie zum letzten Endzweck und Ziel von allem machen, ist dieselbe Abstraktion. -
2. Wer der Gegensatz in dieser Unmittelbarkeit als Sein und Nichts ausgedrückt ist, so scheint es als zu auffallend, daß er nichtig sei, als daß man nicht versuchen sollte, das Sein zu fixieren und es gegen den Übergang zu bewahren. Das Nachdenken muß in dieser Hinsicht darauf verfallen, für das Sein eine feste Bestimmung aufzusuchen, durch welche es von dem Nichts unterschieden wäre. Man nimmt z. B. als das in allem Wechsel Beharrende, die unendlich bestimmbare Materie usf. oder auch ohne Nachdenken als irgendeine einzelne Existenz, das nächstbeste Sinnliche oder Geistige.
Aber alle solche weiteren und konkreteren Bestimmungen lassen das Sein nicht mehr als das reine Sein, wie es hier im Anfang unmittelbar ist. Nur in und um dieser reinen Unbestimmtheit willen ist es Nichts,
- ein Unsagbares; sein Unterschied von dem Nichts ist eine bloße Meinung.
- Es ist gerade nur um das Bewußtsein über diese Anfänge zu tun, nämlich daß sie nichts als diese leere Abstraktionen und jede von beiden so leer ist als die andere; der Trieb, in dem Sein oder in beiden eine feste Bedeutung zu finden, ist diese Notwendigkeit selbst, welche das Sein und Nichts weiterführt und ihnen eine wahre, d. i. konkrete Bedeutung gibt. Dieses Fortgehen ist die logische Ausführung und der im Folgenden sich darstellende Verlauf.
Das Nachdenken, welches tiefere Bestimmungen für sie findet, ist das logische Denken,
durch welches sich solche, nur nicht auf eine zufällige, sondern notwendige Weise, hervorbringen.
- Jede folgende Bedeutung, die sie erhalten, ist darum nur als eine nähere Bestimmung und wahrere Definition des Absoluten anzusehen; eine solche ist dann nicht mehr eine leere Abstraktion wie Sein und Nichts, vielmehr ein Konkretes, in dem beide, Sein und Nichts, Momente sind.
- Die höchste Form des Nichts für sich wäre die Freiheit, aber sie ist die Negativität, insofern sie sich zur höchsten Intensität in sich vertieft und selbst, und zwar absolute, Affirmation ist.

Zusatz.
Sein und Nichts sollen nur erst unterschieden sein, d. h. der Unterschied derselben ist nur erst an sich, aber er ist noch nicht gesetzt. Wenn wir überhaupt von einem Unterschied sprechen, so haben wir hiermit zwei, deren jedem eine Bestimmung zukommt, die sich in dem anderen nicht findet.
Nun aber ist das Sein eben nur das schlechthin Bestimmungslose, und dieselbe Bestimmungslosigkeit ist auch das Nichts. Der Unterschied dieser beiden ist somit nur ein gemeinter, der ganz abstrakte Unterschied, der zugleich kein Unterschied ist. Bei allem sonstigen Unterscheiden haben wir immer auch ein Gemeinsames, welches die Unterschiedenen unter sich befaßt. Sprechen wir z. B. von zwei verschiedenen Gattungen, so ist die Gattung das beiden Gemeinschaftliche.
Ebenso sagen wir: es gibt natürliche und geistige Wesen. Hier ist das Wesen ein beiden Zukommendes. Beim Sein und Nichts dagegen ist der Unterschied in seiner Bodenlosigkeit, und eben darum ist es keiner, denn beide Bestimmungen sind dieselbe Bodenlosigkeit. Wollte man etwa sagen, Sein und Nichts seien doch beide Gedanken und der Gedanke somit das beiden Gemeinschaftliche, so würde dabei übersehen, daß das Sein nicht ein besonderer, bestimmter Gedanke, sondern vielmehr der noch ganz unbestimmte und eben um deswillen vom Nichts nicht zu unterscheidende Gedanke ist.
- Das Sein stellt man sich dann auch wohl vor als den absoluten Reichtum und das Nichts dagegen als die absolute Armut. Betrachten wir aber alle Welt und sagen von ihr, alles sei, und weiter nichts, so lassen wir alles Bestimmte hinweg und haben dann anstatt der absoluten Fülle nur die absolute Leerheit. Dasselbe findet dann auch seine Anwendung auf die Definition Gottes als des bloßen Seins, welcher Definition mit gleicher Berechtigung die Definition der Buddhisten gegenübersteht, daß Gott das Nichts sei, in deren Konsequenz dann auch behauptet wird, daß der Mensch dadurch zu Gott werde, daß er sich selbst vernichte.

§ 88

Das Nichts ist als dieses unmittelbare, sich selbst gleiche, ebenso umgekehrt dasselbe, was das Sein ist. Die Wahrheit des Seins sowie des Nichts ist daher die Einheit beider; diese Einheit ist das Werden.

1. Der Satz "Sein und Nichts ist dasselbe" erscheint für die Vorstellung oder den Verstand als ein so paradoxer Satz, daß sie ihn vielleicht nicht für ernstlich gemeint hält. In der Tat ist er auch von dem Härtesten, was das Denken sich zumutet, denn Sein und Nichts sind der Gegensatz in seiner ganzen Unmittelbarkeit, d. h. ohne daß in dem einen schon eine Bestimmung gesetzt wäre, welche dessen Beziehung auf das andere enthielte. Sie enthalten aber diese Bestimmung, wie in dem vorhergehenden § aufgezeigt ist, die Bestimmung, welche eben in beiden dieselbe ist. Die Deduktion ihrer Einheit ist insofern ganz analytisch; wie überhaupt der ganze Fortgang des Philosophierens als methodischer, d. h. als notwendiger nichts anderes ist als bloß das Setzen desjenigen, was in einem Begriffe schon enthalten ist. -Ebenso richtig als die Einheit des Seins und Nichts ist es aber auch, daß sie schlechthin verschieden sind, - das eine nicht ist, was das andere ist. Allein weil der Unterschied hier sich noch nicht bestimmt hat, denn eben Sein und Nichts sind noch das Unmittelbare, so ist er, wie er an denselben ist, das Unsagbare, die bloße Meinung.
2. Es erfordert keinen großen Aufwand von Witz, den Satz, daß Sein und Nichts dasselbe ist, lächerlich zu machen oder vielmehr Ungereimtheiten vorzubringen mit der unwahren Versicherung, daß sie Konsequenzen und Anwendungen jenes Satzes seien; z. B. es sei hiernach dasselbe, ob mein Haus, mein Vermögen, die Luft zum Atmen, diese Stadt, die Sonne, das Recht, der Geist, Gott sei oder nicht.
In solchen Beispielen werden zum Teil besondere Zwecke, die Nützlichkeit, die etwas für mich hat, untergeschoben und gefragt, ob es mir gleichgültig sei, daß die nützliche Sache sei oder nicht sei.
In der Tat ist die Philosophie eben diese Lehre, den Menschen von einer unendlichen Menge endlicher Zwecke und Absichten zu befreien und ihn dagegen gleichgültig zu machen, so daß es ihm allerdings dasselbe sei, ob solche Sachen sind oder nicht sind. Aber überhaupt, sowie von einem Inhalte die Rede ist, so ist damit ein Zusammenhang mit anderen Existenzen, Zwecken usf. gesetzt, die als gültig vorausgesetzt sind; von solchen Voraussetzungen ist es nun abhängig gemacht, ob das Sein oder Nichtsein eines bestimmten Inhalts dasselbe sei oder auch nicht. Es wird ein inhaltsvoller Unterschied dem leeren Unterschiede von Sein und Nichts untergeschoben. - Zum Teil sind es aber an sich wesentliche Zwecke, absolute Existenzen und Ideen, die bloß unter die Bestimmung des Seins oder Nichtseins gesetzt werden.
Solche konkrete Gegenstände sind noch etwas ganz anderes als nur Seiende oder auch Nichtseiende; dürftige Abstraktionen wie Sein und Nichts - und sie sind, weil sie eben nur die Bestimmungen des Anfangs sind, die allerdürftigsten, die es gibt - sind für die Natur jener Gegenstände ganz inadäquat; wahrhafter Inhalt ist längst über diese Abstraktionen selbst und deren Gegensatz hinaus.
- Wenn überhaupt ein Konkretes dem Sein und Nichts unterschoben wird, so geschieht der Gedankenlosigkeit ihr Gewöhnliches, ein ganz anderes vor die Vorstellung zu bekommen und davon zu sprechen als das, wovon die Rede ist, und hier ist bloß vom abstrakten Sein und Nichts die Rede. 
3. Es kann leicht gesagt werden, daß man die Einheit des Seins und Nichts nicht begreife.
Der Begriff derselben aber ist in den vorhergehenden §§ angegeben, und er ist weiter nichts als dies Angegebene; sie begreifen heißt nichts anderes, als dieses auffassen. Man versteht aber auch unter dem Begreifen noch etwas weiteres als den eigentlichen Begriff; es wird ein mannigfaltigeres, reicheres Bewußtsein, eine Vorstellung verlangt, so daß ein solcher Begriff als ein konkreter Fall vorgelegt werde, mit dem das Denken in seiner gewöhnlichen Praxis vertrauter wäre. Insofern das Nichtbegreifenkönnen nur die Ungewohntheit ausdrückt, abstrakte Gedanken ohne alle sinnliche Beimischung festzuhalten und spekulative Sätze zu fassen, so ist weiter nichts zu sagen, als daß die Art des philosophischen Wissens allerdings verschieden ist von der Art des Wissens, an das man im gemeinen Leben gewöhnt ist, wie auch von der, die in anderen Wissenschaften herrscht.
Heißt das Nicht-Begreifen aber nur, daß man sich die Einheit des Seins und Nichts nicht vorstellen könne, so ist dies in der Tat so wenig der Fall, daß jeder vielmehr unendlich viele Vorstellungen von dieser Einheit hat, und daß man solche Vorstellung nicht habe, kann nur dieses sagen wollen, daß man den vorliegenden Begriff nicht in irgendeiner jener Vorstellungen erkennt und sie nicht als ein Beispiel davon weiß.
Das Beispiel davon, das am nächsten liegt, ist das Werden. Jedermann hat eine Vorstellung vom Werden und wird ebenso zugeben, daß es eine Vorstellung ist; ferner daß, wenn man sie analysiert, die Bestimmung von Sein, aber auch von dem schlechthin Anderen desselben, dem Nichts, darin enthalten ist; ferner daß diese beiden Bestimmungen ungetrennt in dieser einen Vorstellung sind, so daß Werden somit Einheit des Seins und Nichts ist. - Ein gleichfalls naheliegendes Beispiel ist der Anfang; die Sache ist noch nicht in ihrem Anfang, aber er ist nicht bloß ihr Nichts, sondern es ist schon auch ihr Sein darin.
Der Anfang ist selbst auch Werden, drückt jedoch schon die Rücksicht auf das weitere Fortgehen aus. - Man könnte, um sich dem gewöhnlicheren Gang der Wissenschaften zu bequemen, die Logik mit der Vorstellung des rein gedachten Anfangs, also des Anfangs als Anfangs, beginnen und diese Vorstellung analysieren; so würde man es sich vielleicht eher als Ergebnis der Analyse gefallen lassen, daß sich Sein und Nichts als in Einem ungetrennt zeigen.
4. Es ist aber noch zu bemerken, daß der Ausdruck "Sein und Nichts ist dasselbe" oder "die Einheit des Seins und Nichts", ebenso alle anderen solchen Einheiten, des Subjekts und Objekts usf., mit Recht anstößig sind, weil das Schiefe und Unrichtige darin liegt, daß die Einheit herausgehoben und die Verschiedenheit zwar darin liegt (weil es z. B. Sein und Nichts ist, deren Einheit gesetzt ist), aber diese Verschiedenheit nicht zugleich ausgesprochen und anerkannt ist, von ihr also nur ungehörigerweise abstrahiert, sie nicht bedacht zu sein scheint. In der Tat läßt sich eine spekulative Bestimmung nicht in Form eines solchen Satzes richtig ausdrücken; es soll die Einheit in der zugleich vorhandenen und gesetzten Verschiedenheit gefaßt werden. Werden ist der wahre Ausdruck des Resultats von Sein und Nichts, als die Einheit derselben; es ist nicht nur die Einheit des Seins und Nichts, sondern ist die Unruhe in sich,
- die Einheit, die nicht bloß als Beziehung-auf-sich bewegungslos, sondern durch die Verschiedenheit des Seins und Nichts, die in ihm ist, in sich gegen sich selbst ist.
- Das Dasein dagegen ist diese Einheit oder das Werden in dieser Form der Einheit; darum ist das Dasein einseitig und endlich. Der Gegensatz ist, als ob er verschwunden wäre; er ist nur an sich in der Einheit enthalten, aber nicht in der Einheit gesetzt.
5. Dem Satze, daß das Sein das Übergehen in Nichts und das Nichts das Übergehen ins Sein ist,
- dem Satze des Werdens steht der Satz "Aus nichts wird nichts", "etwas wird nur aus etwas" gegenüber, der Satz der Ewigkeit der Materie, des Pantheismus. Die Alten haben die einfache Reflexion gemacht, daß der Satz "aus etwas wird etwas" oder "aus nichts wird nichts" das Werden in der Tat aufhebt; denn das, woraus es wird, und das, was wird, sind ein und dasselbe; es ist nur der Satz der abstrakten Verstandesidentität vorhanden.
Es muß aber als wunderbar auffallen, die Sätze "aus nichts wird nichts" oder "aus etwas wird nur etwas" auch in unseren Zeiten ganz unbefangen vorgetragen zu sehen, ohne einiges Bewußtsein, daß sie die Grundlage des Pantheismus, sowie ohne Kenntnis davon, daß die Alten die Betrachtung dieser Sätze erschöpft haben.

Zusatz.
Das Werden ist der erste konkrete Gedanke und damit der erste Begriff, wohingegen Sein und Nichts leere Abstraktionen sind. Sprechen wir vom Begriff des Seins, so kann derselbe nur darin bestehen, Werden zu sein, denn als das Sein ist es das leere Nichts, als dieses aber das leere Sein.
Im Sein also haben wir das Nichts und in diesem das Sein; dieses Sein aber, welches im Nichts bei sich bleibt, ist das Werden. In der Einheit des Werdens darf der Unterschied nicht fortgelassen werden, denn ohne denselben würde man wieder zum abstrakten Sein zurückkehren. Das Werden ist nur das Gesetztsein dessen, was das Sein seiner Wahrheit nach ist.
Man hört sehr häufig behaupten, das Denken sei dem Sein entgegengesetzt.
Bei solcher Behauptung wäre indes zunächst zu fragen, was unter dem Sein verstanden werde.
Nehmen wir das Sein auf, wie solches die Reflexion bestimmt, so können wir von demselben nur aussagen, es sei dasselbe das schlechthin Identische und Affirmative.
Betrachten wir nunmehr das Denken, so kann es uns nicht entgehen, daß dasselbe wenigstens gleichfalls das schlechthin mit sich Identische ist. Beiden, dem Sein und dem Denken, kommt somit dieselbe Bestimmung zu. Diese Identität des Seins und des Denkens ist nun aber nicht konkret zu nehmen und somit nicht zu sagen, der Stein sei als seiender dasselbe, was der denkende Mensch ist.
Ein Konkretes ist noch etwas ganz anderes als die abstrakte Bestimmung als solche.
Beim Sein aber ist von keinem Konkreten die Rede, denn Sein ist gerade nur das ganz Abstrakte.
Hiernach ist dann auch die Frage nach dem Sein Gottes, welches das in sich unendlich Konkrete ist, von geringem Interesse.
Das Werden ist als die erste konkrete zugleich die erste wahr hafte Gedankenbestimmung. In der Geschichte der Philosophie ist es das System des Heraklit, welches dieser Stufe der logischen Idee entspricht. Wenn Heraklit sagt: "Alles fließt" (πpάντα ει), so ist damit das Werden als die Grundbestimmung alles dessen, was da ist, ausgesprochen, wohingegen, wie früher bemerkt wurde, die Eleaten das Sein, das starre, prozeßlose Sein als das allein Wahre auffaßten.
Mit Beziehung auf das Prinzip der Eleaten heißt es dann weiter bei Demokrit:
"Das Sein ist nicht mehr als das Nichtsein"
(οὐδὲ`ν μαλλον τὸ` ὀ`ν του μὴ` ὂ`ντος ἐσί), womit dann eben die Negativität des abstrakten Seins und dessen im Werden gesetzte Identität mit dem in seiner Abstraktion ebenso haltlosen Nichts ausgesprochen ist. - Wir haben hieran zugleich ein Beispiel der wahrhaften Widerlegung eines philosophischen Systems durch ein anderes, welche Widerlegung eben darin besteht, daß das Prinzip der widerlegten Philosophie in seiner Dialektik aufgezeigt und zum ideellen Moment einer höheren konkreten Form der Idee herabgesetzt wird. - Weiter ist nun aber auch das Werden an und für sich noch eine höchst arme Bestimmung und hat dasselbe sich in sich weiter zu vertiefen und zu erfüllen. Eine solche Vertiefung des Werdens in sich haben wir z. B. am Leben. Dieses ist ein Werden, allein der Begriff desselben ist damit nicht erschöpft. In höherer Form noch finden wir das Werden im Geiste.
Dieser ist auch ein Werden, aber ein intensiveres, reicheres als das bloß logische Werden.
Die Momente, deren Einheit der Geist ist, sind nicht die bloßen Abstrakta des Seins und des Nichts, sondern das System der logischen Idee und der Natur.

 

 

G.W.F. Hegel

Die Wissenschaft der Logik
Erster Teil. Die objektive Logik
Erstes Buch. Die Lehre vom Sein

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