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III. Das Verhältnis der Religion zum Staat
1. Der Staat ist die wahrhafte Weise der Wirklichkeit; in ihm kommt der wahrhafte, sittliche Wille zur Wirklichkeit und lebt der Geist in seiner Wahrhaftigkeit. Die Religion ist das göttliche Wissen, das Wissen des Menschen von Gott und Wissen seiner in Gott. Dies ist die göttliche Weisheit und das Feld der absoluten Wahrheit. Nun gibt es eine zweite Weisheit, die Weisheit der Welt, und um deren Verhältnis zu jener göttlichen Weisheit fragt es sich.
Im allgemeinen ist die Religion und die Grundlage des Staates eins und dasselbe; sie sind an und für sich identisch. Im patriarchalischen Verhältnis, in der jüdischen Theokratie ist beides noch nicht unterschieden und noch äußerlich identisch. Es ist aber beides auch verschieden, und so wird es im weiteren Verlauf streng voneinander getrennt, dann aber wieder wahrhaft identisch gesetzt. Die an und für sich seiende Einheit erhellt schon aus dem Gesagten: die Religion ist Wissen der höchsten Wahrheit, und diese Wahrheit näher bestimmt ist der freie Geist. In der Religion ist der Mensch frei vor Gott; indem er seinen Willen dem göttlichen gemäß macht, so ist er dem höchsten Willen nicht entgegen, sondern er hat sich selbst darin; er ist frei, indem er im Kultus das erreicht hat, die Entzweiung aufzuheben. Der Staat ist nur die Freiheit in der Welt, in der Wirklichkeit. Es kommt hier wesentlich auf den Begriff der Freiheit an, den ein Volk in seinem Selbstbewußtsein trägt; denn im Staat wird der Freiheitsbegriff realisiert, und zu dieser Realisierung gehört wesentlich das Bewußtsein der an sich seienden Freiheit. Völker, die nicht wissen, daß der Mensch an und für sich frei sei, leben in der Verdumpfung sowohl in Ansehung ihrer Verfassung als ihrer Religion. - Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat. Dieser eine Begriff ist das Höchste, was der Mensch hat, und er wird von dem Menschen realisiert. Das Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten Staat, schlechte Regierung, schlechte Gesetze.
Diesen Zusammenhang zwischen Staat und Religion zu betrachten, dies gehört in seiner ausgebildeten Ausführlichkeit eigentlich der Philosophie der Weltgeschichte an. Hier ist er nur in der bestimmten Form zu betrachten, wie er der Vorstellung erscheint, in dieser sich in Widersprüche verwickelt und wie es endlich zu dem Gegensatze beider kommt, der das Interesse der modernen Zeit bildet. Wir betrachten daher jenen Zusammenhang zunächst
2. wie er vorgestellt wird. Die Menschen haben über ihn ein Bewußtsein, aber nicht wie er der absolute Zusammenhang ist und in der Philosophie gewußt wird, sondern sie wissen ihn überhaupt und stellen ihn sich vor. Die Vorstellung des Zusammenhangs spricht sich nun so aus, daß die Gesetze, die Obrigkeit, die Staatsverfassung von Gott stammen; dadurch sind diese autorisiert, und zwar durch die höchste Autorität, die der Vorstellung gegeben ist. Die Gesetze sind die Entwicklung des Freiheitsbegriffes, und dieser, so sich reflektierend auf das Dasein, hat zu seiner Grundlage und Wahrheit den Freiheitsbegriff, wie er in der Religion gefaßt ist. Es ist damit dies ausgesprochen, daß diese Gesetze der Sittlichkeit, des Rechts ewige und unwandelbare Regeln für das Verhalten des Menschen, daß sie nicht willkürlich sind, sondern bestehen solange als die Religion selbst. Die Vorstellung dieses Zusammenhangs finden wir bei allen Völkern. Es kann dies auch in der Form ausgesprochen werden, daß man Gott gehorcht, indem man den Gesetzen und der Obrigkeit folgt, den Mächten, welche den Staat zusammenhalten. Dieser Satz ist einerseits richtig, ist aber auch der Gefahr ausgesetzt, daß er ganz abstrakt genommen werden kann, indem nicht bestimmt wird, wie die Gesetze expliziert sind und welche Gesetze für die Grundverfassung zweckmäßig sind; so formell ausgedrückt heißt jener Satz: man soll den Gesetzen gehorchen, sie mögen sein wie sie wollen. Das Regieren und Gesetzegeben ist auf diese Weise der Willkür der Regierung überlassen.
Dieses Verhältnis ist in protestantischen Staaten vorgekommen, und auch nur in solchen kann es statthaben, denn da ist jene Einheit der Religion und des Staates vorhanden. Die Gesetze des Staates gelten als vernünftige und als ein Göttliches wegen dieser vorausgesetzten ursprünglichen Harmonie, und die Religion hat nicht ihre eigenen Prinzipien, die denen widersprechen, welche im Staate gelten. Indem aber beim Formellen stehengeblieben wird, so ist damit der Willkür, der Tyrannei und der Unterdrückung offener Spielraum gegeben. In England ist dies besonders zum Vorschein gekommen (unter den letzten Königen aus dem Hause Stuart), indem eine passive Obedienz gefordert wurde und der Satz galt, der Regent sei nur Gott über seine Handlungen Rechenschaft schuldig. Dabei ist die Voraussetzung, daß nur der Regent auch bestimmt wisse, was dem Staate wesentlich und notwendig sei; denn in ihm, in seinem Willen liegt die nähere Bestimmung, daß er eine unmittelbare Offenbarung Gottes sei. Durch weitere Konsequenz ist aber dies Prinzip dahin ausgebildet, daß es ins Gegenteil umgeschlagen ist; denn der Unterschied der Priester und Laien ist bei den Protestanten nicht vorhanden, und die Priester sind nicht privilegiert, die göttliche Offenbarung zu besitzen, noch weniger gibt es ein solches Privilegium, das einem Laien ausschließlich zukomme. Gegen das Prinzip der göttlichen Autorisation des Regenten ist daher das Prinzip derselben Autorisation gesetzt, die auch dem Laien überhaupt zukomme. So ist in England eine protestantische Sekte aufgestanden, welche behauptete, ihr sei durch Offenbarung eingegeben, wie regiert werden müsse; nach solcher Eingebung des Herrn haben sie eine Empörung aufgeregt und ihren König enthauptet. - Wenn also wohl im allgemeinen feststeht, daß die Gesetze durch den göttlichen Willen sind, so ist es eine ebenso wichtige Seite, diesen göttlichen Willen zu erkennen, und dies ist nichts Partikulares, sondern kommt allen zu.
Was nun das Vernünftige sei, dies zu erkennen ist die Sache der Bildung des Gedankens und besonders die Sache der Philosophie, die man in diesem Sinne wohl Weltweisheit nennen kann. Es ist ganz gleichgültig, in welcher äußerlichen Erscheinung die wahren Gesetze sich geltend gemacht haben (ob sie den Regenten abgetrotzt sind oder nicht), die Fortbildung des Begriffs der Freiheit, des Rechts, der Humanität bei den Menschen ist für sich notwendig. - Bei jener Wahrheit, daß die Gesetze der göttliche Wille sind, kommt es also besonders darauf an, daß bestimmt wird, welches diese Gesetze sind. Prinzipien als solche sind nur abstrakte Gedanken, die ihre Wahrheit erst in der Entwicklung haben, in ihrer Abstraktion festgehalten, sind sie das ganz Unwahre.
3. Endlich können auch Staat und Religion entzweit sein und unterschiedene Gesetze haben. Der Boden des Weltlichen und Religiösen ist ein verschiedener, und da kann auch ein Unterschied in Ansehung des Prinzips eintreten. Die Religion bleibt nicht bloß auf ihrem eigentümlichen Boden, sondern sie geht auch an das Subjekt, macht ihm Vorschriften in Beziehung auf seine Religiosität und damit in Beziehung auf seine Tätigkeit. Diese Vorschriften, welche die Religion dem Individuum macht, können verschieden sein von den Grundsätzen des Rechts und der Sittlichkeit, die im Staate gelten. Dieser Gegensatz spricht sich in der Form aus, daß die Forderung der Religion auf die Heiligkeit gehe, die des Staates auf Recht und Sittlichkeit; auf der einen Seite sei die Bestimmung für die Ewigkeit, auf der andern für die Zeitlichkeit und das zeitliche Wohl, welches für das ewige Heil aufgeopfert werden müsse. Es wird so ein religiöses Ideal aufgestellt, ein Himmel auf Erden, d. h. die Abstraktion des Geistes gegen das Substantielle der Wirklichkeit; Entsagung der Wirklichkeit ist die Grundbestimmung, die hervortritt, und damit Kampf und Fliehen. Der substantiellen Grundlage, dem Wahrhaften wird etwas anderes, das höher sein soll, entgegengesetzt.
Die erste Sittlichkeit in der substantiellen Wirklichkeit ist die Ehe. Die Liebe, die Gott ist, ist in der Wirklichkeit die eheliche Liebe. Als die erste Erscheinung des substantiellen Willens in der daseienden Wirklichkeit hat diese Liebe eine natürliche Seite; sie ist aber auch eine sittliche Pflicht. Dieser Pflicht wird die Entsagung, die Ehelosigkeit, als etwas Heiliges gegenübergestellt.
Zweitens: Der Mensch als einzelner hat sich mit der Naturnotwendigkeit herumzuschlagen; es ist für ihn ein sittliches Gesetz, sich durch seine Tätigkeit und Verstand selbständig zu machen, denn der Mensch ist natürlicherweise von vielen Seiten abhängig; er wird genötigt, durch seinen Geist, durch seine Rechtlichkeit sich seinen Unterhalt zu erwerben und sich so frei von jener Naturnotwendigkeit zu machen, - das ist die Rechtschaffenheit des Menschen. Eine religiöse Pflicht, die dieser weltlichen entgegengesetzt worden ist, verlangt, daß der Mensch nicht auf diese Weise tätig sein, sich nicht mit solchen Sorgen bemühen solle. Der ganze Kreis des Handelns, aller Tätigkeit, die sich auf den Erwerb, die Industrie usw. bezieht, ist somit verworfen; der Mensch soll sich nicht mit solchen Zwecken abgeben. Die Not ist aber hier vernünftiger als solche religiöse Ansichten. Die Tätigkeit des Menschen wird einerseits als etwas Unheiliges vorgestellt, andererseits wird von dem Menschen sogar verlangt, wenn er einen Besitz hat, so soll er diesen nicht nur nicht vermehren durch seine Tätigkeit, sondern ihn an die Armen und besonders an die Kirche, d. h an solche, die nichts tun, nicht arbeiten, verschenken. Was also im Leben als Rechtschaffenheit hoch gehalten ist, wird somit als unheilig verworfen.
Drittens: Die höchste Sittlichkeit im Staate beruht darauf, daß der vernünftige allgemeine Wille betätigt werde; im Staate hat das Subjekt seine Freiheit, diese ist darin verwirklicht. Dagegen wird eine religiöse Pflicht aufgestellt, nach welcher nicht die Freiheit der Endzweck für den Menschen sein darf, sondern er soll sich einer strengen Obedienz unterwerfen, in der Willenlosigkeit beharren, ja noch mehr, er soll selbstlos sein auch in seinem Gewissen, in seinem Glauben, in der tiefsten Innerlichkeit soll er Verzicht auf sich tun und sein Selbst wegwerfen.
Wenn die Religion in dieser Weise auf die Tätigkeit des Menschen Beschlag legt, so kann sie ihm eigentümliche Vorschriften machen, die der Vernünftigkeit der Welt entgegengesetzt sind. Dagegen ist die Weltweisheit aufgetreten, welche das Wahrhafte in der Wirklichkeit erkennt; im Bewußtsein des Geistes sind die Prinzipien seiner Freiheit erwacht, und da sind die Ansprüche der Freiheit mit den religiösen Prinzipien, die jene Entsagung forderten, in Kampf geraten. In den katholischen Staaten stehen Religion und Staat so einander gegenüber, wenn die subjektive Freiheit sich in dem Menschen auftut.
In diesem Gegensatz spricht sich die Religion nur auf eine negative Weise aus und fordert von dem Menschen, daß er aller Freiheit entsage; dieser Gegensatz ist näher dieser, daß der Mensch in seinem wirklichen Bewußtsein überhaupt an sich rechtlos sei und die Religion in dem Gebiet der wirklichen Sittlichkeit keine absoluten Rechte anerkennt. Das ist der ungeheure Unterschied, der damit in die moderne Welt eingetreten ist, daß überhaupt gefragt wird, ob die Freiheit der Menschen als etwas an und für sich Wahrhaftes anerkannt werden soll oder ob sie von der Religion verworfen werden darf.
Es ist schon gesagt worden, daß die Übereinstimmung der Religion und des Staates vorhanden sein kann; dies ist im allgemeinen dem Prinzip nach, aber in abstrakter Weise der Fall in den protestantischen Staaten; denn der Protestantismus fordert, daß der Mensch nur glaube, was er wisse, daß sein Gewissen als ein Heiliges unantastbar sein solle; in der göttlichen Gnade ist der Mensch nichts Passives; er ist mit seiner subjektiven Freiheit wesentlich dabei, und in seinem Wissen, Wollen, Glauben ist das Moment der subjektiven Freiheit ausdrücklich gefordert. In den Staaten anderer Religion kann es dagegen sein, daß beide Seiten nicht übereinstimmen, daß die Religion von dem Prinzip des Staates unterschieden ist; dies sehen wir in einem weit ausgebreiteten Kreise: einerseits eine Religion, die das Prinzip der Freiheit nicht anerkennt, andererseits eine Staatsverfassung, die dasselbe zur Grundlage macht. Wenn man sagt, der Mensch ist seiner Natur nach frei, so ist das ein Prinzip von unendlichem Werte; bleibt man aber bei dieser Abstraktion, so läßt sie keinen Organismus der Staatsverfassung aufkommen, denn dieser fordert eine Gliederung, worin die Pflichten und Rechte beschränkt werden; jene Abstraktion läßt keine Ungleichheit zu, welche eintreten muß, wenn ein Organismus und damit wahrhafte Lebendigkeit statthaben soll.
Dergleichen Grundsätze sind wahr, dürfen aber nicht in ihrer Abstraktion genommen werden; das Wissen, daß der Mensch der Natur, d. h. dem Begriff nach frei ist, gehört der neueren Zeit an; mag nun aber bei der Abstraktion stehengeblieben werden oder nicht, so kann es sein, daß diesen Grundsätzen die Religion gegenübersteht, welche dieselben nicht anerkennt, sondern sie als rechtlos betrachtet und nur die Willkür für rechtmäßig. Es tritt also notwendig ein Kampf ein, der sich nicht auf wahrhafte Weise ausgleichen läßt. Die Religion fordert das Aufheben des Willens, das weltliche Prinzip legt ihn dagegen zugrunde; wenn jene religiösen Prinzipien sich geltend machen, so kann es nicht anders geschehen, als daß die Regierungen mit Gewalt verfahren und die entgegenstehende Religion verdrängen oder die, welche derselben angehören, als Partei behandeln. Die Religion als Kirche kann da wohl klug sein und äußerlich nachgiebig, aber es tritt dann Inkonsequenz in den Geistern ein. Die Welt hält fest an einer bestimmten Religion und hängt zugleich an entgegengesetzten Prinzipien; insofern man diese ausführt und doch noch zu jener Religion gehören will, so ist das eine große Inkonsequenz. So haben die Franzosen z. B., die das Prinzip der weltlichen Freiheit festhalten, in der Tat aufgehört, der katholischen Religion anzugehören, denn diese kann nichts aufgeben, sondern sie fordert konsequent in allem unbedingte Unterwerfung unter die Kirche. Religion und Staat stehen auf diese Weise im Widerspruch: die Religion läßt man dann auf der Seite liegen, sie soll sich finden, wie sie mag; sie gilt nur als Sache der Individuen, um welche der Staat sich nicht zu bekümmern habe, und dann wird weiter gesagt, die Religion sei nicht einzumischen in die Staatsverfassung. Das Setzen jener Grundsätze der Freiheit gibt vor, daß sie wahrhafte seien, weil sie mit dem innersten Selbstbewußtsein des Menschen zusammenhängen. Wenn es aber in der Tat die Vernunft ist, die diese Prinzipien findet, so hat sie die Bewahrheitung derselben, sofern sie wahrhaft sind und nicht formell bleiben, nur darin, daß sie dieselben zurückführt auf die Erkenntnis der absoluten Wahrheit, und diese ist nur der Gegenstand der Philosophie; diese muß aber vollständig und bis auf die letzte Analyse zurückgegangen sein, denn wenn die Erkenntnis sich nicht in sich vollendet, so ist sie der Einseitigkeit des Formalismus ausgesetzt; geht sie aber bis auf den letzten Grund, so kommt sie zu dem, was als Höchstes, als Gott anerkannt ist. Es läßt sich also wohl sagen, die Staatsverfassung solle auf der einen Seite stehenbleiben, die Religion auf der andern; aber da ist diese Gefahr vorhanden, daß jene Grundsätze mit Einseitigkeit behaftet bleiben. Wir sehen so gegenwärtig die Welt voll vom Prinzip der Freiheit, und dasselbe besonders auf die Staatsverfassung bezogen: diese Prinzipien sind richtig, aber mit dem Formalismus behaftet sind sie Vorurteile, indem die Erkenntnis nicht bis auf den letzten Grund gegangen ist; da allein ist die Versöhnung mit dem schlechthin Substantiellen vorhanden.
Das andere nun, was bei jener Trennung in Betracht kommt, ist diese Seite, daß, wenn nun die Prinzipien der wirklichen Freiheit zugrunde gelegt sind und diese sich zu einem Systeme des Rechts entwickeln, daraus gegebene, positive Gesetze entstehen und diese die Form von juridischen Gesetzen überhaupt in Beziehung auf die Individuen erhalten. Die Erhaltung der Gesetzgebung ist den Gerichten anheimgegeben; wer das Gesetz übertritt, wird vor Gericht gezogen, und die Existenz des Ganzen wird in solche juridische Form überhaupt gesetzt. Ihr gegenüber steht dann die Gesinnung, das Innere, welches gerade der Boden der Religion ist. Es sind so zwei Seiten sich einander entgegen, die der Wirklichkeit angehören - die positive Gesetzgebung und die Gesinnung in Ansehung derselben.
In bezug auf die Verfassung gibt es hier zwei Systeme: das moderne System, worin die Bestimmungen der Freiheit und der ganze Bau derselben auf formelle Weise aufrechterhalten werden, ohne die Gesinnung zu beachten; das andere System ist das der Gesinnung - das griechische Prinzip überhaupt, das wir besonders in der Platonischen Republik entwickelt finden. Wenige Stände machen hierin die Grundlage aus, das Ganze beruht sonst auf der Erziehung, auf der Bildung, welche zur Wissenschaft und Philosophie fortgehen soll. Die Philosophie soll das Herrschende sein, und durch sie soll der Mensch zur Sittlichkeit geleitet werden: alle Stände sollen der σsωοσsύνη teilhaftig sein.
Beide Seiten, die Gesinnung und jene formelle Konstitution sind unzertrennlich und können sich gegenseitig nicht entbehren; aber in neuerer Zeit ist die Einseitigkeit zum Vorschein gekommen, daß einerseits die Konstitution sich selbst tragen soll und Gesinnung, Religion, Gewissen andererseits als gleichgültig auf die Seite gestellt sein sollen, indem es die Staatsverfassung nichts angehe, zu welcher Gesinnung und Religion sich die Individuen bekennen. Wie einseitig das aber ist, erhellt daraus, daß die Gesetze von Richtern gehandhabt werden, und da kommt es auf ihre Rechtlichkeit sowie auf ihre Einsicht an; denn das Gesetz herrscht nicht, sondern die Menschen sollen es herrschen machen: diese Betätigung ist ein Konkretes; der Wille des Menschen sowie ihre Einsicht müssen das Ihrige dazu tun. Die Intelligenz des Subjekts muß auch deshalb oft entscheiden, weil die bürgerlichen Gesetze das Bestimmen sehr weit führen und doch noch nicht jedes Besondere berühren können. Ebenso ein Einseitiges ist aber auch die Gesinnung für sich, an welchem Mangel die Platonische Republik leidet. In jetzigen Zeiten will man sich gar nicht auf die Einsicht verlassen, sondern man will alles nach positiven Gesetzen geleitet wissen. Ein großes Beispiel dieser Einseitigkeit haben wir in der neuesten Tagesgeschichte erlebt: an der Spitze der französischen Regierung hat man eine religiöse Gesinnung gesehen, die von der Art war, daß ihr der Staat überhaupt für ein Rechtloses galt und daß sie feindselig gegen die Wirklichkeit, gegen Recht und Sittlichkeit auftrat. Die letzte Revolution*) war nun die Folge eines religiösen Gewissens, das den Prinzipien der Staatsverfassung widersprochen hat, und doch soll es nun nach derselben Staatsverfassung nicht darauf ankommen, zu welcher Religion sich das Individuum bekenne; diese Kollision ist noch sehr weit davon, gelöst zu sein.
Die Gesinnung nimmt nicht notwendig die Form der Religion an; sie kann auch mehr beim Unbestimmten stehenbleiben. Aber in dem, was man das Volk nennt, ist die letzte Wahrheit nicht in Form von Gedanken und Prinzipien; sondern was dem Volke als Recht gelten soll, kann das nur insofern, als es Bestimmtes, Besonderes ist. Dies Bestimmte des Rechts und der Sittlichkeit hat nun für das Volk seine letzte Bewährung nur in der Form einer vorhandenen Religion, und wenn diese nicht mit den Prinzipien der Freiheit zusammenhängt, so ist immer die Spaltung und eine unaufgelöste Entzweiung vorhanden, ein feindseliges Verhältnis, das gerade im Staate nicht stattfinden soll. Unter Robespierre hat in Frankreich der Schrecken regiert, und zwar gegen die, welche nicht in der Gesinnung der Freiheit waren, weil sie verdächtig gewesen sind, d. h. um der Gesinnung willen. So ist auch das Ministerium Karls X. verdächtig gewesen. Nach dem Formellen der Konstitution war der Monarch keiner Verantwortlichkeit ausgesetzt; aber dies Formelle hat nicht standgehalten: die Dynastie ist vom Thron gestürzt worden. So zeigt es sich, daß in der formell ausgebildeten Konstitution der letzte Notanker doch wieder die Gesinnung ist, die in ihr beiseite gestellt war und nun mit Verachtung aller Form sich geltend macht. An diesem Widerspruch und an der herrschenden Bewußtlosigkeit desselben ist es, daß unsere Zeit leidet.
*) Julirevolution, 1830
G.W.F. Hegel
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