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G.W.F. HEGEL
Vorlesungen über die Philosophie der Religion

Die Religion des Insichseins

c. Der Kultus

Auf den Charakter der Völker, die ihr angehören, hat diese Religion der Substantialität besonders insofern gewirkt,
als sie die Erhebung über das unmittelbare, einzelne Bewußtsein zur durchgehenden Forderung machte.

α) Da das Eine als das Substantielle gefaßt wird, so liegt darin unmittelbar die Erhebung über die Begierde, den einzelnen Willen, die Wildheit, - das Versenken in diese Innerlichkeit, Einheit. Das Bild des Buddha ist in dieser denkenden Stellung, Füße und Arme übereinandergelegt, so daß ein Zehe in den Mund geht, - dies Zurückgehen in sich, dies An-sich-selbst-Saugen. Der Charakter der Völker dieser Religion ist der der Stille, Sanftmut, des Gehorsams, der über der Wildheit, der Begierde steht.

Vor allem aber ist der Dalai-Lama die Erscheinung des vollendeten und befriedigten Insichseins.
Sein Hauptcharakter ist Ruhe und Sanftmut, womit er Einsicht und ein durchaus edles Wesen verbindet.
Die Völker verehren ihn, indem sie ihn in dem schönen Licht betrachten, daß er in der reinen Betrachtung lebe und das absolut Ewige in ihm gegenwärtig sei. Wenn der Lama auf äußerliche Dinge seine Aufmerksamkeit richten muß, so ist er allein mit dem wohltätigen Amt beschäftigt,
Trost und Hilfe zu spenden; sein erstes Attribut ist Vergessen und Erbarmen.
Jenes Kind, das in Klein-Tibet Lama war, als die oben erwähnten englischen Gesandten dort ankamen, wurde zwar noch gesäugt, war aber ein lebhaftes, geistreiches Kind, betrug sich mit aller möglichen Würde und Anständigkeit und schien bereits ein Bewußtsein seiner höheren Würde zu haben. Und von dem Regenten konnten die Gesandten nicht genug rühmen, welchen Adel, welche
leidenschaftslose Ruhe er gehabt habe. Auch der vorige Lama war ein einsichtsvoller, würdiger, edler Mann gewesen.
Daß aber ein Individuum, in dem sich die Substanz konzentriert hat, sich diese würdige, edle äußere Darstellung gibt, hängt innerlich zusammen.

Insofern die Stille des Insichseins das Vernichtetsein alles Besonderen, das Nichts ist, so ist für den Menschen ebenso dieser Zustand der Vernichtung der höchste, und seine Bestimmung ist, sich zu vertiefen in dieses Nichts, die ewige Ruhe, das Nichts überhaupt, in das Substantielle, wo alle Bestimmungen aufhören, kein Wille, keine Intelligenz ist. Durch fortwährendes Vertiefen und Sinnen in sich soll der Mensch diesem Prinzip gleich werden, er soll ohne Leidenschaft sein, ohne Neigung, ohne Handlung und zu diesem Zustand kommen, nichts zu wollen und nichts zu tun.

Da ist von Tugend, Laster, Versöhnung, Unsterblichkeit keine Rede; die Heiligkeit des Menschen ist, daß er in dieser Vernichtung, in diesem Schweigen sich vereint mit Gott, dem Nichts, dem Absoluten. Im Aufhören aller Regung des Körpers, aller Bewegung der Seele besteht das Höchste. Wenn diese Stufe erlangt ist, so ist keine Abstufung, kein Wechsel mehr und hat der Mensch keine Wanderungen nach dem Tode zu befürchten, - da ist er identisch mit Gott. Hier ist also das theoretische Moment ausgesprochen, daß der Mensch ein Substantielles, für sich ist.
Das
praktische ist, daß er will; wenn er will, so ist das, was ist, Gegenstand für ihn, den er verändert, dem er seine Form aufdrückt. Der praktische Wert der religiösen Empfindung bestimmt sich nach dem Inhalt dessen, was als das Wahre gilt. In dieser Religion ist aber erst noch dieses Theoretische vorhanden, daß diese Einheit, Reinheit, das Nichts absolut selbständig gegen das Bewußtsein ist, daß seine Bestimmung ist, nicht gegen das Gegenständliche zu handeln, es nicht zu bilden, sondern es gewähren zu lassen, so daß diese Stille in ihm hervorgebracht werde.
Dieses ist das Absolute; der Mensch hat aus sich Nichts zu machen. Des Menschen Wert besteht darin, daß sein Selbstbewußtsein ein
affirmatives Verhältnis zu jener theoretischen Substantialität hat, - das Gegenteil desjenigen Verhältnisses, welches, da der Gegenstand keine Bestimmung für dasselbe hat, nur negativer Natur ist, eben deswegen nur affirmativ ist als Beziehung des Subjekts zu seiner eigenen Innerlichkeit, welche die Macht ist, alle Objektivität in ein Negatives zu verwandeln, - d. h. affirmativ nur in seiner Eitelkeit. - Jener stille, sanfte Sinn hat im Kultus zunächst momentan das Bewußtsein solcher ewigen Ruhe als des wesentlichen, göttlichen Seins, und für das übrige Leben gibt diese Bestimmtheit den Ton und Charakter; aber es steht dem Selbstbewußtsein auch frei, sein ganzes Leben zu einem fortdauernden Zustande jener Stille und existenzlosen Betrachtung zu machen, und diese wirkliche Zurückgezogenheit aus der Äußerlichkeit der Bedürfnisse und Wirksamkeit des Lebens in das stille Innere und so die Einigung mit dieser theoretischen Substantialität muß für die höchste Vollendung gelten. So entstehen unter diesen Völkern große religiöse Assoziationen, die in Gemeinsamkeit in Ruhe des Geistes und in stiller Beschauung des Ewigen leben, ohne an weltlichen Interessen und Geschäften teilzunehmen.

Wenn der Mensch in seinem Sinn sich auf diese negative Weise verhält, sich nur wehrt, nicht gegen das Äußerliche, sondern gegen sich selbst, und sich mit dem Nichts vereint sich alles Bewußtseins, aller Leidenschaft entschlägt, dann ist er in den Zustand erhoben, der bei den Buddhisten Nirwana heißt. Da ist der Mensch nicht schwer, nicht mehr dem Gewicht, der Krankheit, dem Alter unterworfen, dem Tod; er ist anzusehen als Gott selbst, ist Buddha geworden.

β) Wenn der Mensch dadurch, daß er sich in diese Abstraktion, vollkommene Einsamkeit, diese Entsagung, das Nichts versetzt, dies erlangt, daß er ununterscheidbar von Gott, ewig, identisch mit Gott ist, so tritt hier die Vorstellung von der Unsterblichkeit und Seelenwanderung in die Lehre des Fo, Buddha wesentlich ein.
Dieser Standpunkt ist eigentlich höher als der, auf welchem die Anhänger des Tao sich zu Schen, unsterblich machen sollen.

Indem dies als höchste Bestimmung des Menschen angegeben wird, durch Meditation, Zurückgehen in sich, sich unsterblich zu machen, so ist damit nicht ausgesprochen, daß die Seele an sich, als solche verharrend, wesenhaft, daß der Geist unsterblich ist, sondern nur, daß der Mensch sich erst durch diese Abstraktion, Erhebung unsterblich mache, machen solle. Der Gedanke der Unsterblichkeit liegt darin, daß der Mensch denkend ist, in seiner Freiheit bei sich selbst; so ist er schlechthin unabhängig, ein Anderes kann nicht in seine Freiheit einbrechen; er bezieht sich nur auf sich selbst, ein Anderes kann sich nicht in ihm geltend machen.

Diese Gleichheit mit mir selbst, Ich, dieses bei sich selbst Seiende, wahrhaft Unendliche, dieses, heißt es dann auf diesem Standpunkte, ist unsterblich, ist keiner Veränderung unterworfen, es ist selbst das Unveränderliche, das nur in sich Seiende, nur in sich sich Bewegende. Ich ist nicht tote Ruhe, sondern Bewegung, aber Bewegung, die nicht Veränderung heißt, sondern die ewige Ruhe, ewige Klarheit in sich selbst ist.

Indem Gott als das Wesenhafte gewußt, in seiner Wesenhaftigkeit gedacht wird, das Insichsein, Beisichsein wahrhafte Bestimmung ist, so ist in Beziehung auf das Subjekt dies Insichsein, diese Wesenhaftigkeit gewußt als Natur des Subjekts, das geistig ist in sich. Diese Wesenhaftigkeit kommt auch dem Subjekt der Seele zu; es wird gewußt, daß sie unsterblich ist, dies, rein zu existieren, aber im eigentlichen Sinne noch nicht zu existieren als diese Reinheit. d. h. noch nicht als Geistigkeit; sondern mit dieser Wesenhaftigkeit ist noch verbunden, daß die Weise der Existenz noch sinnliche Unmittelbarkeit ist, die aber nur akzidentell ist.

Unsterblichkeit ist also, daß die bei sich seiende Seele als wesenhaft zugleich existierend ist. Wesen ohne Existenz ist eine bloße Abstraktion; die Wesenhaftigkeit, der Begriff muß existierend gedacht werden: es gehört also die Realisation auch zur Wesenhaftigkeit, aber die Form der Realisation ist noch die sinnliche Existenz, die sinnliche Unmittelbarkeit.
Die Seelenwanderung ist nun, daß die Seele noch beharrt nach dem Tode, aber in einer anderen, sinnlichen Weise.
Weil die Seele noch abstrakt gefaßt wird als Insichsein, so ist diese Gestaltung
gleichgültig; der Geist wird nicht als Konkretes gewußt, ist nur abstrakte Wesenheit, und so ist das Dasein, die Erscheinung nur die unmittelbare, sinnliche Gestalt, welche zufällig, menschliche oder tierische Gestalt ist. Mensch, Tier, die ganze Welt der Lebendigkeit wird zum bunten Kleide der farblosen Individualität. Das Insichsein, das Ewige hat noch keinen Inhalt, also auch keinen Maßstab für die Gestalt.

Daß der Mensch in solche Gestalten übergeht, wird nun mit der Moralität, mit dem Verdienst zusammengebracht. Nämlich bei dem Verhältnis des Menschen zu dem Prinzip, dem Nichts gilt, daß er, um glücklich zu sein, durch fortwährende Spekulation, Meditation, Sinnen über sich, sich bemühen muß, diesem Prinzip gleich zu werden, und die Heiligkeit des Menschen ist, in diesem Schweigen sich zu vereinigen mit dem Gott. Die lauten Stimmen weltlichen Lebens müssen verstummen; das Schweigen des Grabes ist das Element der Ewigkeit und Heiligkeit. In dem Aufhören aller Bewegung, Regung des Körpers, aller Bewegung der Seele, in dieser Vernichtung seiner selbst, darin besteht das Glück, und wenn der Mensch zu dieser Stufe der Vollkommenheit gekommen ist, so ist keine Abwechslung mehr, seine Seele hat keine Wanderung mehr zu befürchten, denn er ist identisch mit dem Gott Fo. Die Seele ist in die Region des Nichts erhoben und so aus dem Gebundensein an die äußerliche, sinnliche Gestaltung erlöst.

Insofern der Mensch aber in seinem Leben nicht durch Entsagung, Versenkung in sich zu diesem Glück gekommen ist, so ist dies Glück wohl in ihm, indem sein Geist ist dies Ansichsein, aber er bedarf noch der Dauer, dazu des Leiblichen, und so entsteht die Vorstellung der Seelenwanderung.

γ) Hier ist es nun, daß mit dieser Vorstellung sich wieder die Seite der Macht und der Zauberei verbindet und die Religion des Insichseins in den wildesten Aberglauben ausläuft. Das theoretische Verhältnis, weil es in sich eigentlich leer ist, schlägt in das praktische der Zauberei um. Es tritt die Vermittlung der Priester ein, die zugleich das Höhere sind und die Macht über die Gestaltungen, die der Mensch annimmt. Die Anhänger der Religion des Fo sind in dieser Rücksicht höchst abergläubisch. Sie glauben, daß der Mensch in alle möglichen Gestalten übergehe, und die Priester sind die im Übersinnlichen lebenden Beherrscher der Gestalt, welche die Seele annehmen soll, und vermögen sie daher auch von unglücksvollen Gestalten freizuhalten. Ein Missionar erzählt eine Geschichte von einem sterbenden Chinesen, der ihn habe rufen lassen und geklagt habe, ein Bonze (dies sind die Priester, die Wissenden; ihnen ist bekannt, was in der anderen Welt vorgeht) habe ihm gesagt, so wie er sich jetzt im Dienste des Kaisers befinde, so würde er auch nach seinem Tode darin bleiben: seine Seele würde in ein kaiserliches Postpferd übergehen; er solle dann seinen Dienst treulich tun, nicht schlagen, nicht beißen, nicht stolpern und sich mit wenig Futter begnügen.

Das Dogma der Seelenwanderung ist auch der Punkt, wo der einfache Kultus des Insichseins in die mannigfachste Idololatrie umschlägt. In diesem Dogma liegt der Grund und Ursprung der unendlichen Menge von Idolen, Bildern, die überall verehrt werden, wo Fo herrscht. Vierfüßige Tiere, Vögel, kriechende Tiere, mit einem Worte: die niedrigsten Tiergestaltungen haben Tempel und werden verehrt, weil der Gott in seinen Wiedergeburten jedes bewohnt und jeder tierische Körper von der Seele des Menschen bewohnt sein kann.

 

G.W.F. Hegel

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