G.W.F. HEGEL: Vorlesungen über die Philosophie der Religion
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B. Das religiöse Verhältnis
In der Lehre von Gott haben wir Gott als Objekt schlechthin nur für sich vor uns; freilich kommt dann auch die Beziehung Gottes auf die Menschen hinzu, und während dies nach der früheren gewöhnlichen Vorstellung nicht wesentlich dazugehörig erschien, handelt dagegen die neuere Theologie mehr von der Religion als von Gott: es wird nur gefordert, der Mensch soll Religion haben. Dies ist die Hauptsache, und es wird sogar als gleichgültig gesetzt, ob man von Gott etwas wisse oder nicht; oder man hält dafür, es sei dies nur ganz etwas Subjektives, man wisse eigentlich nicht, was Gott sei. Dagegen hat man im Mittelalter mehr das Wesen Gottes betrachtet und bestimmt. Wir haben die Wahrheit anzuerkennen, die darin liegt, daß Gott nicht betrachtet wird getrennt vom subjektiven Geiste, aber nur nicht aus dem Grunde, daß Gott ein Unbekanntes ist, sondern deswegen, weil Gott wesentlich Geist, als wissender ist. Es ist also eine Beziehung von Geist zu Geist. Dieses Verhältnis von Geist zu Geist liegt der Religion zugrunde.
Wenn wir nun dessen überhoben wären, mit dem Beweise, daß Gott ist, anzufangen, so hätten wir doch zu beweisen, daß die Religion ist, und daß sie notwendig ist; denn die Philosophie hat den Gegenstand nicht als einen gegebenen.
Man könnte nun zwar sagen, jener Beweis sei nicht nötig, und sich darauf berufen, daß alle Völker Religion hätten. Aber dies ist nur etwas Angenommenes, und mit dem Ausdruck "alles" geht man überhaupt nicht besonders gut um. Sodann gibt es doch auch Völker, von denen man schwerlich sagen dürfte, daß sie Religion haben: ihr Höchstes, das sie etwa verehren, ist Sonne, Mond, oder was ihnen sonst in der sinnlichen Natur auffällt. Auch gibt es die Erscheinung eines Extrems von Bildung, daß das Sein Gottes überhaupt geleugnet worden ist, und ebenso, daß die Religion die Wahrhaftigkeit des Geistes sei; ja, man hat in diesem Extrem mit Ernst behauptet, die Priester seien nur Betrüger, indem sie den Menschen eine Religion eingäben, denn sie hätten dabei nur die Absicht gehabt, sich die Menschen unterwürfig zu machen.
Ein weiterer Versuch, die Notwendigkeit der Religion zu beweisen, kommt nur zur äußerlichen, bedingten Notwendigkeit, in welcher die Religion zu einem Mittel und zu etwas Absichtlichem gemacht, aber damit zu etwas Zufälligem herabgesetzt wird, welches nicht an und für sich gilt, sondern willkürlich von mir ebenso entfernt wie mit Absicht gebraucht werden kann. Die wahrhafte Ansicht, das substantielle Verhältnis, und das falsche Verhältnis stehen hier sehr nahe aneinander, und das Schiefe des letzteren scheint nur eine leichte Verschiebung des ersteren zu sein.
In alter und neuer Zeit hat man gesagt, diese Stadt, dieser Staat, diese Familien oder Individuen seien durch die Verachtung der Götter zugrunde gegangen; die Verehrung der Götter dagegen und die Ehrfurcht gegen sie erhalte und beglücke die Staaten, und das Glück und Fortkommen der Individuen werde durch ihre Religiosität befördert.
Allerdings wird die Rechtschaffenheit erst etwas Festes und erhält die Erfüllung der Pflichten ihre Bewährung, wenn ihnen die Religion zugrunde liegt. Das Innerste des Menschen, das Gewissen, hat darin erst absolute Verpflichtung und die Sicherheit derselben. So muß der Staat auf Religion beruhen, weil in ihr die Sicherheit der Gesinnung, der Pflichten gegen denselben erst absolut ist. Jede andere Weise der Verpflichtung weiß sich Ausreden, Ausnahmen, Gegengründe zu verschaffen, weiß die Gesetze, Einrichtungen und Individuen der Regierung und Obrigkeit zu verkleinern, sie unter Gesichtspunkte zu bringen, wodurch man sich von der Achtung gegen dieselbe losmacht. Denn alle diese Bestimmungen sind nicht das allein, was sie an sich und in sich sind, sondern sie haben zugleich eine gegenwärtige, endliche Existenz, sie sind von der Beschaffenheit, daß sie die Reflexion einladen, sie zu untersuchen, sie ebenso anzuklagen wie zu rechtfertigen, und rufen so die subjektive Betrachtung auf, die sich von ihnen dispensieren kann. Nur die Religion ist es, die alles dieses subjektive Beurteilen und Abwägen niederschlägt, zunichte macht und eine unendliche, absolute Verpflichtung herbeiführt. Kurz, die Verehrung Gottes oder der Götter befestigt und erhält die Individuen, die Familien, Staaten; die Verachtung Gottes oder der Götter löst die Rechte und Pflichten, die Bande der Familien und der Staaten auf und führt sie zum Verderben.
Dies ist allerdings eine höchst wahre und wichtige Betrachtung, welche den wesentlichen, substantiellen Zusammenhang enthält. Wenn nun aus jenem Satze als Resultat einer Erfahrung gefolgert wird: also ist die Religion notwendig, so ist dies eine äußerliche Art des Schlusses, kann aber noch allein in Rücksicht des subjektiven Erkennens mangelhaft sein, so daß damit dem Inhalt noch nicht eine schiefe Wendung oder Stellung gegeben wird. Aber wenn der Schluß jetzt so lautet: also ist die Religion für die Zwecke der Individuen, Regierungen, Staaten usf. nützlich, so wird damit ein Verhältnis eingeführt, in welchem die Religion als Mittel gesetzt wird. Aber bei der Religion hat man es mit dem Geist, dem vielgewandten, zu tun. Wie schon der organische Körper in seinen Krankheiten gegen die Heilmittel, sosehr sie eine Notwendigkeit der Wirkungsweise gegen ihn ausüben, zugleich nach ihrer Spezialität indifferent ist und eine Wahl unter einer Menge von Mitteln offensteht, so setzt der Geist noch mehr, was er als Mittel hat und gebrauchen kann, zu einem Besonderen herab, und er hat dann das Bewußtsein seiner Freiheit, es gebrauchen zu können oder auch ein anderes.
So, wenn die Religion Mittel ist, so weiß der Geist, daß er sie gebrauchen, daß er aber auch andere Mittel ergreifen kann; ja, er steht ihr so gegenüber, daß er sich auf sich kann verlassen wollen. Er hat ferner die Freiheit seiner Zwecke - seine Gewalt, List, die Beherrschung der Meinung der Menschen usf. sind auch Mittel -, und eben in der Freiheit seiner Zwecke, welche eben darin liegt, daß seine Zwecke das Geltende sein sollen und die Religion nur Mittel, hat er die Freiheit, seine Macht und Herrschaft sich zum Zweck zu machen, also sich Zwecke zu setzen, bei denen er die Religion entbehren kann oder die gerade gegen dieselbe gehen. Es kommt vielmehr darauf an, daß er sich zu solchen Zwecken entschlösse oder verpflichtet wüßte, die mit Zurücksetzung anderer beliebiger, überhaupt mit Aufopferung der besonderen Zwecke objektiv, an und für sich gelten. Objektive Zwecke fordern das Aufgeben subjektiver Interessen, Neigungen und Zwecke, und dies Negative ist darin enthalten, wenn gesagt wird, die Verehrung Gottes gründe das wahre Wohl der Individuen, Völker und Staaten. Ist dies eine Folge von jener, so ist jene die Hauptsache, hat ihre Bestimmung und Bestimmtheit für sich und reguliert die Zwecke und Ansichten der Menschen, die als besondere Zwecke nicht das Erste, sich für sich Bestimmensollende sind. So eine leichte Wendung der Reflexionsstellung verändert und verdirbt gänzlich jenen ersten Sinn und macht aus der Notwendigkeit eine bloße Nützlichkeit, die als zufällig sich verkehren läßt.
Hier ist vielmehr von der inneren, an und für sich seienden Notwendigkeit die Rede, einer Notwendigkeit, der sich die Willkür, das Böse allerdings wohl entgegenstellen kann; aber diese Willkür fällt dann außerhalb auf die Seite des Ichs, das sich als frei auf die Spitze seines Fürsichseins stellen kann, und gehört nicht mehr der Notwendigkeit selbst an und ist nicht mehr die eigene sich verkehrende Natur derselben, wie es der Fall ist, solange sie nur als Nützlichkeit gefaßt wird.
(HEGEL: Vorlesungen über die Philosophie der Religion)
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