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G.W.F.Hegel                                                                                                                hegeleliforp03Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse


α. Das Erkennen

§ 226

Die allgemeine Endlichkeit des Erkennens, die in dem einen Urteil, der Voraussetzung des Gegensatzes
(§ 224) liegt, gegen welche sein Tun selbst der eingelegte Widerspruch ist, bestimmt sich näher an seiner eigenen Idee dazu, daß deren Momente die Form der Verschiedenheit voneinander erhalten und, indem sie zwar vollständig sind, in das Verhältnis der Reflexion, nicht des Begriffs zueinander zu stehen kommen.
Die Assimilation des Stoffes als eines Gegebenen erscheint daher als die Aufnahme desselben in die ihm zugleich äußerlich bleibenden Begriffsbestimmungen, welche ebenso in der Verschiedenheit gegeneinander auftreten. Es ist die als Verstand tätige Vernunft. Die Wahrheit, zu der dies Erkennen kommt, ist daher gleichfalls nur die endliche; die unendliche des Begriffs ist als ein nur an sich seiendes Ziel, ein Jenseits für dasselbe fixiert. Es steht aber in seinem äußerlichen Tun unter der Leitung des Begriffs, und dessen Bestimmungen machen den inneren Faden des Fortgangs aus.

Zusatz.
Die Endlichkeit des Erkennens liegt in der Voraussetzung einer vorgefundenen Welt, und das erkennende Subjekt erscheint hierbei als eine tabula rasa. Man hat diese Vorstellung dem Aristoteles zugeschrieben, obschon niemand von dieser äußerlichen Auffassung des Erkennens entfernter ist als gerade Aristoteles. Dies Erkennen weiß sich noch nicht als die Tätigkeit des Begriffs, welche es nur an sich ist, aber nicht für sich. Sein Verhalten erscheint ihm selbst als ein passives, in der Tat ist dasselbe jedoch aktiv.

§ 227

Das endliche Erkennen hat, indem es das Unterschiedene als ein vorgefundenes, ihm gegenüberstehendes Seiendes - die mannigfaltigen Tatsachen der äußeren Natur oder des Bewußtseins
- voraussetzt, 1. zunächst für die Form seiner Tätigkeit die formelle Identität oder die Abstraktion der Allgemeinheit.
Diese Tätigkeit besteht daher darin, das gegebene Konkrete aufzulösen, dessen Unterschiede zu vereinzeln und ihnen die Form abstrakter Allgemeinheit zu geben; oder das Konkrete als Grund zu lassen und durch Abstraktion von den unwesentlich scheinenden Besonderheiten ein konkretes Allgemeines, die Gattung oder die Kraft und das Gesetz, herauszuheben; - analytische Methode.

Zusatz.
Man pflegt von analytischer und synthetischer Methode so zu sprechen, als ob es bloß Sache unseres Beliebens sei, die eine oder die andere zu befolgen. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, sondern es ist die Form der zu erkennenden Gegenstände selbst, von welcher es abhängt, welche der genannten beiden, aus dem Begriff des endlichen Erkennens sich ergebenden Methoden zur Anwendung zu bringen ist.
Das Erkennen ist zunächst analytisch; das Objekt hat für dasselbe die Gestalt der Vereinzelung, und die Tätigkeit des analytischen Erkennens ist darauf gerichtet, das demselben vorliegende Einzelne auf ein Allgemeines zurückzuführen. Das Denken hat hier nur die Bedeutung der Abstraktion oder der formellen Identität. Dies ist der Standpunkt, auf welchem Locke und alle Empiriker stehen. Viele sagen, weiter könne das Erkennen überhaupt nichts tun, als die gegebenen konkreten Gegenstände in ihre abstrakten Elemente zu zerlegen und diese dann in ihrer Isolierung zu betrachten. Es erhellt indes sogleich, daß dies ein Verkehren der Dinge ist und daß das Erkennen, welches die Dinge nehmen will, wie sie sind, hierbei mit sich selbst in Widerspruch gerät. So z. B. bringt der Chemiker ein Stück Fleisch auf seine Retorte, martert dasselbe auf vielfache Weise und sagt dann, er habe gefunden, daß dasselbe aus Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff usw. bestehe. Diese abstrakten Stoffe sind dann aber kein Fleisch mehr. Ebenso verhält es sich, wenn der empirische Psychologe eine Handlung in die verschiedenen Seiten, die dieselbe der Betrachtung darbietet, zerlegt und diese dann in ihrer Trennung festhält. Der analytisch behandelte Gegenstand wird hierbei gleichsam als eine Zwiebel betrachtet, der man eine Haut nach der andern abzieht.

§ 228

Diese Allgemeinheit ist 2. auch eine bestimmte; die Tätigkeit geht hier an den Momenten des Begriffes fort, der im endlichen Erkennen nicht in seiner Unendlichkeit, der verständige bestimmte Begriff ist.
Die Aufnahme des Gegenstandes in die Formen desselben ist die synthetische Methode

Zusatz.
Die Bewegung der synthetischen Methode ist das Umgekehrte der analytischen Methode. Während diese vom Einzelnen ausgehend zum Allgemeinen fortschreitet, so bildet dagegen bei jener das Allgemeine (als Definition) den Ausgangspunkt, von welchem durch die Besonderung (in der Einteilung) zum Einzelnen (dem Theorem) fortgeschritten wird. Die synthetische Methode erweist sich hiermit als die Entwicklung der Momente des Begriffs am Gegenstande.

§ 229

aa) Der Gegenstand, von dem Erkennen zunächst in die Form des bestimmten Begriffes überhaupt gebracht, so daß hiermit dessen Gattung und dessen allgemeine Bestimmtheit gesetzt wird, ist die Definition.
Ihr Material und Begründung wird durch die analytische Methode (§ 227) herbeigeschafft.
Die Bestimmtheit soll jedoch nur ein Merkmal, d. i. zum Behufe des dem Gegenstande äußerlichen, nur subjektiven Erkennens sein.

Zusatz.
Die Definition enthält selbst die drei Momente des Begriffs: das Allgemeine, als die nächste Gattung (genus proximum), das Besondere, als die Bestimmtheit der Gattung (qualitas specifica), und das Einzelne, als den definierten Gegenstand selbst.
- Bei der Definition entsteht zunächst die Frage, wo dieselbe herkommt, und diese Frage ist überhaupt dahin zu beantworten, daß die Definitionen auf analytischem Wege entstehen. Damit ist dann aber auch sogleich die Veranlassung zum Streit über die Richtigkeit der aufgestellten Definition gegeben, denn es kommt dabei darauf an, von welchen Wahrnehmungen man ausgegangen ist und was für Gesichtspunkte man dabei vor Augen gehabt hat. Je reicher der zu definierende Gegenstand ist, d. h. je mehr verschiedene Seiten er der Betrachtung darbietet, um so verschiedener pflegen dann auch die davon aufgestellten Definitionen auszufallen. So gibt es z. B. eine ganze Menge von Definitionen vom Leben, vom Staat usw.
Die Geometrie hat dagegen gut Definitionen machen, da ihr Gegenstand, der Raum, ein so abstrakter ist. - Weiter ist nun überhaupt in Ansehung des Inhalts der definierten Gegenstände keine Notwendigkeit vorhanden. Man hat es sich so gefallen zu lassen, daß es einen Raum, daß es Pflanzen, Tiere usw. gibt und es ist nicht Sache der Geometrie, der Botanik usw., die Notwendigkeit der genannten Gegenstände aufzuzeigen. Für die Philosophie eignet sich schon um dieses Umstandes willen die synthetische Methode sowenig wie die analytische, denn die Philosophie hat sich vor allen Dingen über die Notwendigkeit ihrer Gegenstände zu rechtfertigen. Gleichwohl hat man auch in der Philosophie mehrfältig versucht, sich der synthetischen Methode zu bedienen. So beginnt namentlich Spinoza mit Definitionen und sagt z. B.:
die Substanz ist die causa sui. In seinen Definitionen ist das Spekulativste niedergelegt, aber in der Form von Versicherungen. Dasselbe gilt dann auch von Schelling.

§ 230

bb) Die Angabe des zweiten Begriffsmoments, der Bestimmtheit des Allgemeinen als Besonderung, ist die Einteilung, nach irgendeiner äußerlichen Rücksicht.

Zusatz.
Von der Einteilung wird gefordert, daß dieselbe vollständig sei, und dazu gehört ein Prinzip oder Einteilungsgrund, welcher so beschaffen ist, daß die darauf begründete Einteilung den ganzen Umfang des durch die Definition im allgemeinen bezeichneten Gebiets umfaßt. Näher ist es dann bei der Einteilung darum zu tun, daß das Prinzip derselben aus der Natur des einzuteilenden Gegenstandes selbst entnommen und die Einteilung somit natürlich und nicht bloß künstlich, d. h. willkürlich gemacht sei.
So werden z. B. in der Zoologie bei der Einteilung der Säugetiere vornehmlich die Zähne und die Klauen als Einteilungsgrund gebraucht, und dies ist insofern sinnig, als die Säugetiere selbst sich durch diese Teile ihres Körpers voneinander unterscheiden und der allgemeine Typus der verschiedenen Klassen derselben darauf zurückzuführen ist.
- Überhaupt ist die wahrhafte Einteilung als durch den Begriff bestimmt zu betrachten.
Dieselbe ist insofern zunächst dreiteilig; indem dann aber die Besonderheit sich als ein Gedoppeltes darstellt, so schreitet damit die Einteilung auch zur Vierteiligkeit fort. In der Sphäre des Geistes herrscht das Trichotomische vor, und es gehört zu den Verdiensten Kants, auf diesen Umstand aufmerksam gemacht zu haben.

§ 231

cc) In der konkreten Einzelheit, so daß die in der Definition einfache Bestimmtheit als ein Verhältnis aufgefaßt ist, ist der Gegenstand eine synthetische Beziehung unterschiedener Bestimmungen;
- ein Theorem. Die Identität derselben, weil sie verschiedene sind, ist eine vermittelte.
Das Herbeibringen des Materials, welches die Mittelglieder ausmacht, ist die Konstruktion, und die Vermittlung selbst, woraus die Notwendigkeit jener Beziehung für das Erkennen hervorgeht, der Beweis.

Nach gewöhnlichen Angaben von dem Unterschiede der synthetischen und analytischen Methode erscheint es im ganzen als beliebig, welche man gebrauchen wolle. Wenn das Konkrete, das nach der synthetischen Methode als Resultat dargestellt ist, vorausgesetzt wird, so lassen sich aus demselben die abstrakten Bestimmungen als Folgen herausanalysieren, welche die Voraussetzungen und das Material für den Beweis ausmachten. Die algebraischen Definitionen der krummen Linien sind Theoreme in dem geometrischen Gange; so würde etwa auch der pythagoreische Lehrsatz, als Definition des rechtwinkligen Dreiecks angenommen, die in der Geometrie zu seinem Behuf früher erwiesenen Lehrsätze durch Analyse ergeben. Die Beliebigkeit der Wahl beruht darauf, daß die eine wie die andere Methode von einem äußerlich Vorausgesetzten ausgeht. Der Natur des Begriffes nach ist das Analysieren das erste, indem es den gegebenen empirisch-konkreten Stoff vorerst in die Form allgemeiner Abstraktionen zu erheben hat, welche dann erst als Definitionen in der synthetischen Methode vorangestellt werden können.
Daß diese Methoden, so wesentlich und von so glänzendem Erfolge in ihrem eigentümlichen Felde, für das philosophische Erkennen unbrauchbar sind, erhellt von selbst, da sie Voraussetzungen haben und das Erkennen sich darin als Verstand und als Fortgehen an formeller Identität verhält.
Bei Spinoza, der die geometrische Methode vornehmlich, und zwar für spekulative Begriffe gebrauchte, macht sich der Formalismus derselben sogleich auffallend. Die Wolffsche Philosophie, welche sie zum weitesten Pedantismus ausgebildet, ist auch ihrem Inhalte nach Verstandesmetaphysik.
- An die Stelle des Mißbrauchs, der mit dem Formalismus dieser Methoden in der Philosophie und in den Wissenschaften getrieben worden, ist in neueren Zeiten der Mißbrauch mit der sogenannten Konstruktion getreten.
Durch Kant war die Vorstellung in Umlauf gebracht worden, daß die Mathematik ihre Begriffe konstruiere; dies sagte nichts anderes, als daß sie es mit keinen Begriffen, sondern mit abstrakten Bestimmungen sinnlicher Anschauungen zu tun hat. So ist denn die Angabe sinnlicher, aus der Wahrnehmung aufgegriffener Bestimmungen mit Umgehung des Begriffs und der fernere Formalismus, philosophische und wissenschaftliche Gegenstände nach einem vorausgesetzten Schema tabellarisch, übrigens nach Willkür und Gutdünken, zu klassifizieren, eine Konstruktion der Begriffe genannt worden.
Es liegt dabei wohl eine dunkle Vorstellung der Idee, der Einheit des Begriffes und der Objektivität, sowie daß die Idee konkret sei, im Hintergrunde. Aber jenes Spiel des sogenannten Konstruierens ist weit entfernt, diese Einheit darzustellen, die nur der Begriff als solcher ist, und ebensowenig ist das Sinnlich-Konkrete der Anschauung ein Konkretes der Vernunft und der Idee.
Weil es übrigens die Geometrie mit der sinnlichen, aber abstrakten Anschauung des Raums zu tun hat,
so kann sie ungehindert einfache Verstandesbestimmungen in ihm fixieren; sie hat deswegen allein die synthetische Methode des endlichen Erkennens in ihrer Vollkommenheit.
Sie stößt jedoch in ihrem Gange, was sehr bemerkenswert ist, zuletzt auf Inkommensurabilitäten und Irrationalitäten, wo sie, wenn sie im Bestimmen weitergehen will, über das verständige Prinzip hinausgetrieben wird.
Auch hier tritt, wie sonst häufig, an der Terminologie die Verkehrung ein, daß, was rational genannt wird, das Verständige, was aber irrational, vielmehr ein Beginn und Spur der Vernünftigkeit ist. Andere Wissenschaften, wenn sie, was ihnen notwendig und oft, da sie sich nicht in dem Einfachen des Raumes oder der Zahl befinden, geschieht, an die Grenze ihres verständigen Fortgehens kommen, helfen sich auf leichte Weise. Sie brechen die Konsequenz desselben ab und nehmen, was sie brauchen, oft das Gegenteil des Vorhergehenden, von außen, aus der Vorstellung, Meinung, Wahrnehmung oder woher es sonst sei, auf.
Die Bewußtlosigkeit dieses endlichen Erkennens über die Natur seiner Methode und deren Verhältnis zum Inhalt läßt es weder erkennen, daß es in seinem Fortgehen durch Definitionen, Einteilungen usf. von der Notwendigkeit der Begriffsbestimmungen fortgeleitet wird, noch wo es an seiner Grenze ist, noch, wenn es dieselbe überschritten hat, daß es sich in einem Felde befindet, wo die Verstandesbestimmungen nicht mehr gelten, die es jedoch roherweise noch darin gebraucht.

§ 232

Die Notwendigkeit, welche das endliche Erkennen im Beweise hervorbringt, ist zunächst eine äußerliche, nur für die subjektive Einsicht bestimmte. Aber in der Notwendigkeit als solcher hat es selbst seine Voraussetzung und den Ausgangspunkt, das Vorfinden und Gegebensein seines Inhalts, verlassen.
Die Notwendigkeit als solche ist an sich der sich auf sich beziehende Begriff. Die subjektive Idee ist so an sich zu dem an und für sich Bestimmten, Nichtgegebenen, und daher demselben als dem Subjekte Immanenten gekommen und geht in die Idee des Wollens über.

Zusatz.
Die Notwendigkeit, zu welcher das Erkennen durch den Beweis gelangt, ist das Gegenteil von dem, was für dasselbe den Ausgangspunkt bildet. In seinem Ausgangspunkt hatte das Erkennen einen gegebenen und zufälligen Inhalt; nunmehr aber, am Schluß seiner Bewegung, weiß es den Inhalt als einen notwendigen, und diese Notwendigkeit ist durch die subjektive Tätigkeit vermittelt.
Ebenso war zunächst die Subjektivität ganz abstrakt eine bloße tabula rasa, wohingegen dieselbe sich nunmehr als bestimmend erweist.
Hierin aber liegt der (Übergang von der Idee des Erkennens zur Idee des Wollens.
Dieser Übergang besteht dann näher darin, daß das Allgemeine in seiner Wahrheit als Subjektivität, als sich bewegender, tätiger und Bestimmungen setzender Begriff aufzufassen ist.

 

G.W.F. Hegel
Wissenschaft der Logik

Drittes Buch.
Die Lehre vom Begriff

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Es scheint eine Unangemessenheit stattzufinden zwischen uns beschränkten Menschen und der an und für sich seienden Wahrheit, und es entsteht die Frage nach der Brücke zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen. Gott ist die Wahrheit;
wie sollen wir ihn erkennen?
Die Tugenden der Demut und der Bescheidenheit scheinen mit solchem Vorhaben im Widerspruch zu stehen.”

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“Es erscheint als angemessen, den Mythus vom Sündenfall an der Spitze der Logik zu betrachten, da diese es mit dem Erkennen zu tun hat und es sich auch in diesem Mythus um das Erkennen, um dessen Ursprung und Bedeutung handelt.”....
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