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Dritte Abteilung der Logik. Die Lehre vom Begriff
§ 160
Der Begriff ist das Freie, als die für sie seiende substantielle Macht, und ist Totalität, indem jedes der Momente das Ganze ist, das er ist, und als ungetrennte Einheit mit ihm gesetzt ist; so ist er in seiner Identität mit sich das an und für sich Bestimmte.
Zusatz. Der Standpunkt des Begriffs ist überhaupt der des absoluten Idealismus, und die Philosophie ist begreifendes Erkennen, insofern, als in ihr alles, was dem sonstigen Bewußtsein als ein Seiendes und in seiner Unmittelbarkeit Selbständiges gilt, bloß als ein ideelles Moment gewußt wird. In der Verstandeslogik pflegt der Begriff als eine bloße Form des Denkens und näher als eine allgemeine Vorstellung betrachtet zu werden, und diese untergeordnete Auffassung des Begriffs ist es dann, auf welche sich die von seiten der Empfindung und des Herzens so oft wiederholte Behauptung bezieht, daß die Begriffe als solche etwas Totes, Leeres und Abstraktes seien. In der Tat verhält es sich indes gerade umgekehrt und ist der Begriff vielmehr das Prinzip alles Lebens und damit zugleich das schlechthin Konkrete. Daß dem so ist, dies hat sich als das Resultat der ganzen bisherigen logischen Bewegung ergeben und braucht deshalb nicht erst hier bewiesen zu werden. Was hierbei namentlich den hinsichtlich des Begriffs, als des vermeintlich nur Formellen, geltend gemachten Gegensatz von Form und Inhalt anbetrifft, so liegt uns derselbe samt allen den übrigen von der Reflexion festgehaltenen Gegensätzen als dialektisch, d. h. durch sich selbst überwunden, bereits im Rücken und ist es eben der Begriff, welcher alle die früheren Bestimmungen des Denkens als aufgehoben in sich enthält. Allerdings ist der Begriff als Form zu betrachten, allein als unendliche, schöpferische Form, welche die Fülle alles Inhalts in sich beschließt und zugleich aus sich entläßt. Ebenso mag dann auch der Begriff immerhin abstrakt genannt werden, wenn man unter dem Konkreten nur das sinnlich Konkrete, überhaupt das unmittelbar Wahrnehmbare versteht; der Begriff als solcher läßt sich nicht mit den Händen greifen, und überhaupt muß uns, wenn es sich um den Begriff handelt, Hören und Sehen vergangen sein. Gleichwohl ist der Begriff, wie vorher bemerkt wurde, zugleich das schlechthin Konkrete, und zwar insofern, als derselbe das Sein und das Wesen und damit den ganzen Reichtum dieser beiden Sphären in ideeller Einheit in sich enthält. - Wenn, wie solches früher bemerkt worden ist, die verschiedenen Stufen der logischen Idee als eine Reihe von Definitionen des Absoluten betrachtet werden können, so ist die Definition des Absoluten, welche sich uns hier ergibt, die, daß dasselbe der Begriff ist. Dabei muß man dann freilich den Begriff in einem anderen und höheren Sinne auffassen, als solches in der Verstandeslogik geschieht, welcher zufolge der Begriff bloß als eine an sich inhaltslose Form unseres subjektiven Denkens betrachtet wird. Es könnte hierbei zunächst nur noch die Frage aufgeworfen werden, warum, wenn in der spekulativen Logik der Begriff eine so ganz andere Bedeutung hat, als man sonst mit diesem Ausdruck zu verbinden pflegt, dieses ganz Andere hier gleichwohl Begriff genannt und dadurch Veranlassung zu Mißverständnis und Verwirrung gegeben wird. Auf solche Frage wäre zu erwidern, daß, wie groß auch der Abstand zwischen dem Begriff der formellen Logik und dem spekulativen Begriff sein mag, bei näherer Betrachtung es sich doch ergibt, daß die tiefere Bedeutung des Begriffs dem allgemeinen Sprachgebrauch keineswegs so fremd ist, als dies zunächst der Fall zu sein scheint. Man spricht von der Ableitung eines Inhalts, so z. B. der das Eigentum betreffenden Rechtsbestimmungen aus dem Begriff des Eigentums, und ebenso umgekehrt von der Zurückführung eines solchen Inhalts auf den Begriff. Damit aber wird anerkannt, daß der Begriff nicht bloß eine an sich inhaltslose Form ist, da einerseits aus einer solchen nichts abzuleiten wäre und andererseits durch die Zurückführung eines gegebenen Inhalts auf die leere Form des Begriffs derselbe nur seiner Bestimmtheit würde beraubt, aber nicht erkannt werden.
§ 161
Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Übergehen noch Scheinen in Anderes, sondern Entwicklung, indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das Identische miteinander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freies Sein des ganzen Begriffes ist.
Zusatz. Übergehen in Anderes ist der dialektische Prozeß in der Sphäre des Seins und Scheinen in Anderes in der Sphäre des Wesens. Die Bewegung des Begriffs ist dagegen Entwicklung, durch welche nur dasjenige gesetzt wird, was an sich schon vorhanden ist. In der Natur ist es das organische Leben, welches der Stufe des Begriffs entspricht. So entwickelt sich z. B. die Pflanze aus ihrem Keim. Dieser enthält bereits die ganze Pflanze in sich aber in ideeller Weise, und man hat somit deren Entwicklung nicht so aufzufassen, als ob die verschiedenen Teile der Pflanze Wurzel, Stengel, Blätter usw., im Keim bereits realiter, jedoch nur ganz klein vorhanden wären. Dies ist die sogenannte Einschachtelungshypothese, deren Mangel somit darin besteht, daß dasjenige was nur erst in ideeller Weise vorhanden ist, als bereits existierend betrachtet wird. Das Richtige in dieser Hypothese ist dagegen dies, daß der Begriff in seinem Prozeß bei sich selbst bleibt und daß durch denselben dem Inhalt nach nichts Neues gesetzt, sondern nur eine Formveränderung hervorgebracht wird. Diese Natur des Begriffs, sich in seinem Prozeß als Entwicklung seiner selbst zu erweisen, ist es dann auch, welche man vor Augen hat, wenn man von dem Menschen angeborenen Ideen spricht oder, wie solches Platon getan, alles Lernen bloß als Erinnerung betrachtet, welches jedoch gleichfalls nicht so verstanden werden darf, als ob dasjenige, was den Inhalt des durch Unterricht gebildeten Bewußtseins ausmacht, in seiner bestimmten Entfaltung vorher schon in demselben Bewußtsein wäre vorhanden gewesen. - Die Bewegung des Begriffs ist gleichsam nur als ein Spiel zu betrachten, das Andere, was durch dieselbe gesetzt wird, ist in der Tat nicht ein Anderes. In der christlich-religiösen Lehre ist dies so ausgesprochen, daß Gott nicht nur eine Welt erschaffen hat, die ihm als ein Anderes gegenübersteht, sondern daß er auch von Ewigkeit her einen Sohn erzeugt hat, in welchem er als Geist bei sich selbst ist.
§ 162
Die Lehre vom Begriffe teilt sich in die Lehre 1. von dem subjektiven oder formellen Begriffe, 2. von dem Begriffe als zur Unmittelbarkeit bestimmtem, oder von der Objektivität, 3. von der Idee, dem Subjekt-Objekte, der Einheit des Begriffs und der Objektivität, der absoluten Wahrheit.
Die gewöhnliche Logik faßt nur die Materien in sich, die hier als ein Teil des dritten Teils des Ganzen vorkommen, außerdem die oben vorgekommenen sogenannten Gesetze des Denkens und in der angewandten Logik einiges von dem Erkennen, womit noch psychologisches, metaphysisches und sonst empirisches Material verbunden wird, weil jene Formen des Denkens denn endlich für sich nicht mehr genügten; damit hat diese Wissenschaft jedoch die feste Richtung verloren. - Jene Formen, die wenigstens zum eigentlichen Gebiet der Logik gehören, werden übrigens nur als Bestimmungen des bewußten, und zwar desselben als nur verständigen, nicht vernünftigen Denkens genommen. Die vorhergehenden logischen Bestimmungen, die Bestimmungen des Seins und Wesens, sind zwar nicht bloße Gedankenbestimmungen; in ihrem Übergehen, dem dialektischen Momente, und in ihrer Rückkehr in sich und Totalität erweisen sie sich als Begriffe. Aber sie sind (vgl. § 84 u. 112) nur bestimmte Begriffe, Begriffe an sich oder, was dasselbe ist, für uns, indem das Andere, in das jede Bestimmung übergeht oder in welchem sie scheint und damit als Relatives ist, nicht als Besonderes, noch ihr Drittes als Einzelnes oder Subjekt bestimmt [ist], nicht die Identität der Bestimmung in ihrer entgegengesetzten, ihre Freiheit gesetzt ist, weil sie nicht Allgemeinheit ist. - Was gewöhnlich unter Begriffen verstanden wird, sind Verstandesbestimmungen, auch nur allgemeine Vorstellungen: daher überhaupt endliche Bestimmungen; vgl. § 62. Die Logik des Begriffs wird gewöhnlich als nur formelle Wissenschaft so verstanden, daß es ihr auf die Form als solche des Begriffs, des Urteils und Schlusses, aber ganz und gar nicht darauf ankomme, ob etwas wahr sei; sondern dies hänge ganz allein vom Inhalte ab. Wären wirklich die logischen Formen des Begriffs tote, unwirksame und gleichgültige Behälter von Vorstellungen oder Gedanken, so wäre ihre Kenntnis eine für die Wahrheit sehr überflüssige und entbehrliche Historie. In der Tat aber sind sie umgekehrt als Formen des Begriffs der lebendige Geist des Wirklichen, und von dem Wirklichen ist wahr nur, was kraft dieser Formen, durch sie und in ihnen wahr ist. Die Wahrheit dieser Formen für sich selbst ist aber seither nie betrachtet und untersucht worden, ebensowenig als ihr notwendiger Zusammenhang.
G.W.F. Hegel Wissenschaft der Logik
Drittes Buch. Die Lehre vom Begriff
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