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β. Das Geschlechtsverhältnis
§ 369
Diese erste Diremtion der Gattung in Arten und die Fortbestimmung derselben zum unmittelbaren ausschließenden Fürsichsein der Einzelheit ist nur ein negatives und feindliches Verhalten gegen andere. Aber die Gattung ist ebenso wesentlich affirmative Beziehung der Einzelheit auf sich in ihr, so daß sie, indem sie, ausschließend, ein Individuum gegen ein anderes Individuum ist, in dieses andere sich kontinuiert und sich selbst in diesem anderen empfindet. Dies Verhältnis ist Prozeß, der mit dem Bedürfnisse beginnt, indem das Individuum als Einzelnes der immanenten Gattung nicht angemessen und zugleich deren identische Beziehung auf sich in einer Einheit ist; es hat so das Gefühl dieses Mangels. Die Gattung in ihm ist daher als Spannung gegen die Unangemessenheit ihrer einzelnen Wirklichkeit der Trieb, im Anderen seiner Gattung sein Selbstgefühl zu erlangen, sich durch die Einung mit ihm zu integrieren und durch diese Vermittlung die Gattung mit sich zusammenzuschließen und zur Existenz zu bringen, - die Begattung.
Zusatz. Indem durch den Prozeß mit der unorganischen Natur die Idealität derselben gesetzt ist, hat sich das Selbstgefühl des Tiers und seine Objektivität an ihm selbst bewährt. Es ist nicht bloß an sich seiendes Selbstgefühl, sondern das existierende Selbstgefühl, die Lebendigkeit im Selbstgefühl. Die Trennung beider Geschlechter ist eine solche, worin die Extreme Totalitäten des Selbstgefühls sind; der Trieb des Tiers ist die Produktion seiner als eines Selbstgefühls, als Totalität. Statt daß aber, wie im Bildungstriebe, das Organische ein totes Produkt wurde, das zwar frei vom Organischen entlassen, aber nur oberflächliche Form an einer äußerlichen Materie und diese darum nicht als freies gleichgültiges Subjekt sich gegenständlich war, so sind jetzt beide Seiten selbständige Individuen wie im Assimilationsprozesse, verhalten sich aber nicht als Organisches und Unorganisches zueinander, sondern beide sind Organische und gehören der Gattung an, so daß sie nur als ein Geschlecht existieren. Ihre Vereinigung ist das Verschwinden der Geschlechter, worin die einfache Gattung geworden ist. Das Tier hat ein Objekt, mit dem es in unmittelbarer Identität nach seinem Gefühle ist; diese Identität ist das Moment des ersten Prozesses (der Gestaltung), das zur Bestimmung des zweiten (der Assimilation) hinzukommt. Dies Verhalten eines Individuums zu einem anderen seiner Art ist das substantielle Verhältnis der Gattung. Die Natur eines jeden geht durch beide hindurch, und beide befinden sich innerhalb der Sphäre dieser Allgemeinheit. Der Prozeß ist, daß sie das, was sie an sich sind, eine Gattung, dieselbe subjektive Lebendigkeit, auch als solches setzen. Die Idee der Natur ist hier wirklich in dem Paare eines Männchens und Weibchens; ihre Identität wie ihr Fürsichsein, die bisher nur für uns in unserer Reflexion waren, sind jetzt in der unendlichen Reflexion der beiden Geschlechter in sich von ihnen selbst empfunden. Dies Gefühl der Allgemeinheit ist das Höchste, wozu es das Tier bringen kann; theoretischer Gegenstand der Anschauung aber wird ihm darin seine konkrete Allgemeinheit immer nicht, sonst wäre es Denken, Bewußtsein, worin allein die Gattung zur freien Existenz kommt. Der Widerspruch ist also der, daß die Allgemeinheit der Gattung, die Identität der Individuen, von ihrer besonderen Individualität verschieden ist; das Individuum ist nur eines von beiden und existiert nicht als die Einheit, sondern nur als Einzelheit. Die Tätigkeit des Tiers ist, diesen Unterschied aufzuheben. Die zugrunde liegende Gattung ist das eine Extrem des Schlusses, wie denn jeder Prozeß die Form des Schlusses hat. Die Gattung ist die treibende Subjektivität, in die die Lebendigkeit gelegt ist, die sich hervorbringen will. Die Vermittlung, die Mitte des Schlusses ist die Spannung dieses Wesens der Individuen gegen die Unangemessenheit ihrer einzelnen Wirklichkeit, wodurch sie eben getrieben werden, nur im Anderen ihr Selbstgefühl zu haben. Die Gattung, indem sie sich Wirklichkeit gibt, die aber freilich wegen ihrer Form der unmittelbaren Existenz nur eine einzelne ist, schließt sich dadurch mit dem anderen Extrem, der Einzelheit, zusammen. Die Bildung der unterschiedenen Geschlechter muß verschieden sein, ihre Bestimmtheit gegeneinander als durch den Begriff gesetzt existieren, weil sie als Differente Trieb sind. Beide Seiten sind aber nicht bloß, wie im Chemismus, an sich das Neutrale, sondern wegen der ursprünglichen Identität der Formation liegt den männlichen und weiblichen Geschlechtsteilen derselbe Typus zugrunde, nur daß in den einen oder den anderen der eine oder der andere Teil das Wesentliche ausmacht: bei dem Weibe notwendig das Indifferente, bei dem Manne das Entzweite, der Gegensatz. Bei niederen Tieren ist diese Identität am auffallendsten: "In einigen Heuschrecken (z. B. Gryllus verruccivorus) sind die großen Testikel, aus bündelweise zusammengerollten Gefäßen, den ebenso großen Ovarien, aus ähnlichen bündelweise gerollten Eileitern bestehend, ähnlich ... . Auch bei dem Männchen der Breme sind die Hoden nicht nur in ihrem Umriß ganz ebenso gestaltet als die gröberen, größeren Eierstöcke, sondern sie bestehen auch aus fast eiförmigen, länglichen, zarten Bläschen, die mit ihrer Basis auf der Substanz der Hoden aufstehen wie Eier an einem Eierstock."310) Den weiblichen Uterus an den männlichen Teilen zu entdecken, hat die meiste Schwierigkeit gemacht. Ungeschickterweise hat man den Hodensack dafür genommen311) , da doch eben die Testikel sich bestimmt als das dem weiblichen Eierstock Entsprechende ankündigen. Dem weiblichen Uterus entspricht vielmehr im Manne die Prostata; der Uterus sinkt im Manne zur Drüse, zur gleichgültigen Allgemeinheit herunter. Dies hat Ackermann312) sehr gut an seinem Hermaphroditen gezeigt, der einen Uterus bei sonstigen männlichen Formationen hat; aber dieser Uterus ist nicht nur an der Stelle der Prostata, sondern die Ausführungsgänge des Samens (conduits éjaculateurs) gehen auch durch seine Substanz und öffnen sich an der crista galli in die Harnröhre (urethra). Die weiblichen Schamlefzen sind ferner die zusammengegangenen Hodensäcke, daher in Ackermanns Hermaphroditen die weiblichen Schamlippen mit einem testikelartigen Gebilde erfüllt waren. Die Mittellinie des scrotum endlich ist beim Weibe gespalten und bildet die vagina. Man versteht auf diese Weise die Umbildung des einen Geschlechts in das andere vollkommen. Wie im Manne der Uterus zur bloßen Drüse herabsinkt, so bleibt dagegen der männliche Testikel beim Weibe im Eierstocke eingeschlossen, tritt nicht heraus in den Gegensatz, wird nicht für sich, zum tätigen Gehirn, und der Kitzler ist das untätige Gefühl überhaupt. Im Manne hingegen haben wir dafür das tätige Gefühl, das aufschwellende Herz, die Bluterfüllung der corpora cavernosa und der Maschen des schwammigen Gewebes der Urethra; dieser männlichen Bluterfüllung entsprechen dann die weiblichen Blutergüsse. Das Empfangen des Uterus, als einfaches Verhalten, ist auf diese Weise beim Manne entzweit in das produzierende Gehirn und das äußerliche Herz. Der Mann ist also durch diesen Unterschied das Tätige; das Weib aber ist das Empfangende, weil sie in ihrer unentwickelten Einheit bleibt. Die Zeugung muß man nicht auf den Eierstock und den männlichen Samen reduzieren, als sei das neue Gebilde nur eine Zusammensetzung aus den Formen oder Teilen beider Seiten, sondern im Weiblichen ist wohl das materielle Element, im Manne aber die Subjektivität enthalten. Die Empfängnis ist die Frontraktion des ganzen Individuums in die einfache, sich hingebende Einheit, in seine Vorstellung, der Same diese einfache Vorstellung selbst, - ganz ein Punkt, wie der Name und das ganze Selbst. Die Empfängnis ist also nichts anderes als dies, daß das Entgegengesetzte, diese abstrakten Vorstellungen zu einer werden.
§ 370
Das Produkt ist die negative Identität der differenten Einzelheiten, als gewordene Gattung ein geschlechtsloses Leben. Aber nach der natürlichen Seite ist es nur an sich diese Gattung, verschieden von den Einzelnen, deren Differenz in ihm untergegangen ist, jedoch selbst ein unmittelbar Einzelnes, welches die Bestimmung hat, sich zu derselben natürlichen Individualität, der gleichen Differenz und Vergänglichkeit zu entwickeln. Dieser Prozeß der Fortpflanzung geht hiermit in die schlechte Unendlichkeit des Progresses aus. Die Gattung erhält sich nur durch den Untergang der Individuen, die im Prozesse der Begattung ihre Bestimmung erfüllt [haben] und, insofern sie keine höhere haben, damit dem Tode zugehen.
Zusatz. So hat der tierische Organismus seinen Kreis durchlaufen und ist nun das geschlechtslose Allgemeine, das befruchtet ist; er ist zur absoluten Gattung geworden, welche aber der Tod dieses Individuums ist. Niedrige tierische Organismen, z. B. Schmetterlinge, sterben daher unmittelbar nach der Begattung, denn sie haben ihre Einzelheit in der Gattung aufgehoben, und ihre Einzelheit ist ihr Leben. Höhere Organismen erhalten sich noch, indem sie höhere Selbständigkeit haben, und ihr Tod ist der entwickelte Verlauf an ihrer Gestalt, den wir später als Krankheit sehen werden. Die Gattung, die sich durch Negation ihrer Differenzen hervorbringt, existiert aber nicht an und für sich, sondern nur in einer Reihe von einzelnen Lebendigen, und so ist das Aufheben des Widerspruchs immer der Anfang eines neuen. Im Gattungsprozeß gehen die Unterschiedenen zugrunde, denn sie sind nur außer dieser Einheit desselben, welche die wahrhafte Wirklichkeit ist, verschieden. Die Liebe dagegen ist die Empfindung, worin die Selbstsucht der Einzelnen und ihr abgesondertes Bestehen negiert wird, die einzelne Gestalt also zugrunde geht und sich nicht erhalten kann. Denn nur das erhält sich, was, als absolut, mit sich identisch ist, und das ist das Allgemeine, was für das Allgemeine ist. Im Tiere existiert die Gattung aber nicht, sondern ist nur an sich; erst im Geiste ist sie an und für sich in seiner Ewigkeit. An sich, in der Idee, im Begriffe geschieht der Übergang zur existierenden Gattung, nämlich in der ewigen Schöpfung; da ist aber die Natur geschlossen.
310) *[Gotthilf Heinrich von] Schubert, Ahnungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens [2 Bde., Leipzig 1806/20], Teil I, S. 185
311) *[Gotthilf Heinrich von] Schubert, Ahnungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens [2 Bde., Leipzig 1806/20], Teil I, S. 205 f.
312) Jakob Fidelis Ackermann 1765-1815, Prof. der gerichtlichen Medizin, Botanik und Anatomie; Darstellung der Lebenskräfte, 2 Bde., Frankfurt 1797/1800
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