B. Das äußere Staatsrecht
§ 330
Das äußere Staatsrecht geht von dem Verhältnisse selbständiger Staaten aus; was an und für sich in demselben ist, erhält daher die Form des Sollens, weil, daß es wirklich ist, auf unterschiedenen souveränen Willen beruht.
Zusatz. Staaten sind keine Privatpersonen, sondern vollkommen selbständige Totalitäten an sich, und so stellt sich ihr Verhältnis anders als ein bloß moralisches und privatrechtliches. Man hat oft die Staaten privatrechtlich und moralisch haben wollen, aber bei Privatpersonen ist die Stellung so, daß sie über sich ein Gericht haben, das das, was an sich Recht ist, realisiert. Nun soll ein Staatsverhältnis zwar auch an sich rechtlich sein, aber in der Weltlichkeit soll das Ansichseiende auch Gewalt haben. Da nun keine Gewalt vorhanden ist, welche gegen den Staat entscheidet, was an sich Recht ist, und die diese Entscheidung verwirklicht, so muß es in dieser Beziehung immer beim Sollen bleiben. Das Verhältnis von Staaten ist das von Selbständigkeiten, die zwischen sich stipulieren, aber zugleich über diesen Stipulationen [ lat. stipulatio = förmliches Versprechenlassen, auch „Stipulierung“. Vertragstyp des römischen Rechts (sog. „Verbalkontrakt“, lat.: obligatio verbis contracta ] stehen.
§ 331
Das Volk als Staat ist der Geist in seiner substantiellen Vernünftigkeit und unmittelbaren Wirklichkeit, daher die absolute Macht auf Erden; ein Staat ist folglich gegen den anderen in souveräner Selbständigkeit. Als solcher für den anderen zu sein, d. i. von ihm anerkannt zu sein, ist seine erste absolute Berechtigung. Aber diese Berechtigung ist zugleich nur formell und die Forderung dieser Anerkennung des Staats, bloß weil er ein solcher sei, abstrakt; ob er ein so an und für sich Seiendes in der Tat sei, kommt auf seinen Inhalt, Verfassung, Zustand an, und die Anerkennung, als eine Identität beider enthaltend, beruht ebenso auf der Ansicht und dem Willen des anderen.
Sowenig der Einzelne eine wirkliche Person ist ohne Relation zu anderen Personen (§ 71 u. sonst), so wenig ist der Staat ein wirkliches Individuum ohne Verhältnis zu anderen Staaten (§ 322). Die Legitimität eines Staats und näher, insofern er nach außen gekehrt ist, seiner fürstlichen Gewalt ist einerseits ein Verhältnis, das sich ganz nach innen bezieht (ein Staat soll sich nicht in die inneren Angelegenheiten des anderen mischen), - andererseits muß sie ebenso wesentlich durch die Anerkennung der anderen Staaten vervollständigt werden. Aber diese Anerkennung fordert eine Garantie, daß er die anderen, die ihn anerkennen sollen, gleichfalls anerkenne, d. i. sie in ihrer Selbständigkeit respektieren werde, und somit kann es ihnen nicht gleichgültig sein, was in seinem Innern vorgeht. - Bei einem nomadischen Volke z. B., überhaupt bei einem solchen, das auf einer niederen Stufe der Kultur steht, tritt sogar die Frage ein, inwiefern es als ein Staat betrachtet werden könne. Der religiöse Gesichtspunkt (ehemals bei dem jüdischen Volke, den mohammedanischen Völkern) kann noch eine höhere Entgegensetzung enthalten, welche die allgemeine Identität, die zur Anerkennung gehört, nicht zuläßt.
Zusatz. Wenn Napoleon vor dem Frieden von Campoformio sagte: "Die französische Republik bedarf keiner Anerkennung, sowenig wie die Sonne anerkannt zu werden braucht", so liegt in diesen Worten weiter nichts als eben die Stärke der Existenz, die schon die Gewähr der Anerkennung mit sich führt, ohne daß sie ausgesprochen wurde.
§ 332
Die unmittelbare Wirklichkeit, in der die Staaten zueinander sind, besondert sich zu mannigfaltigen Verhältnissen, deren Bestimmung von der beiderseitigen selbständigen Willkür ausgeht und somit die formelle Natur von Verträgen überhaupt hat. Der Stoff dieser Verträge ist jedoch von unendlich geringerer Mannigfaltigkeit als in der bürgerlichen Gesellschaft, in der die Einzelnen nach den vielfachsten Rücksichten in gegenseitiger Abhängigkeit stehen, dahingegen selbständige Staaten vornehmlich sich in sich befriedigende Ganze sind.
§ 333
Der Grundsatz des Völkerrechts, als des allgemeinen, an und für sich zwischen den Staaten gelten sollenden Rechts, zum Unterschiede von dem besonderen Inhalt der positiven Traktate, ist, daß die Traktate, als auf welchen die Verbindlichkeiten der Staaten gegeneinander beruhen, gehalten werden sollen. Weil aber deren Verhältnis ihre Souveränität zum Prinzip hat, so sind sie insofern im Naturzustande gegeneinander, und ihre Rechte haben nicht in einem allgemeinen zur Macht über sie konstituierten, sondern in ihrem besonderen Willen ihre Wirklichkeit. Jene allgemeine Bestimmung bleibt daher beim Sollen, und der Zustand wird eine Abwechslung von dem den Traktaten gemäßen Verhältnisse und von der Aufhebung desselben.
Es gibt keinen Prätor, höchstens Schiedsrichter und Vermittler zwischen Staaten, und auch diese nur zufälligerweise, d. i. nach besonderen Willen. Die Kantische Vorstellung eines ewigen Friedens *) durch einen Staatenbund, welcher jeden Streit schlichtete und als eine von jedem einzelnen Staate anerkannte Macht jede Mißhelligkeit beilegte und damit die Entscheidung durch Krieg unmöglich machte, setzt die Einstimmung der Staaten voraus, welche auf moralischen, religiösen oder welchen Gründen und Rücksichten, überhaupt immer auf besonderen souveränen Willen beruhte und dadurch mit Zufälligkeit behaftet bliebe.
§ 334
Der Streit der Staaten kann deswegen, insofern die besonderen Willen keine Übereinkunft finden, nur durch Krieg entschieden werden. Welche Verletzungen aber, deren in ihrem weit umfassenden Bereich und bei den vielseitigen Beziehungen durch ihre Angehörigen leicht und in Menge vorkommen können, als bestimmter Bruch der Traktate oder Verletzung der Anerkennung und Ehre anzusehen seien, bleibt ein an sich Unbestimmbares, indem ein Staat seine Unendlichkeit und Ehre in jede seiner Einzelheiten legen kann und um so mehr zu dieser Reizbarkeit geneigt ist, je mehr eine kräftige Individualität durch lange innere Ruhe dazu getrieben wird, sich einen Stoff der Tätigkeit nach außen zu suchen und zu schaffen.
§ 335
Überdem kann der Staat als Geistiges überhaupt nicht dabei stehenbleiben, bloß die Wirklichkeit der Verletzung beachten zu wollen, sondern es kommt die Vorstellung von einer solchen als einer von einem andern Staate drohenden Gefahr mit dem Herauf- und Hinabgehen an größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeiten, Vermutungen der Absichten usf. als Ursache von Zwisten hinzu.
§ 336
Indem die Staaten in ihrem Verhältnisse der Selbständigkeit als besondere Willen gegeneinander sind und das Gelten der Traktate selbst hierauf beruht, der besondere Wille des Ganzen aber nach seinem Inhalte sein Wohl überhaupt ist, so ist dieses das höchste Gesetz in seinem Verhalten zu anderen, um so mehr, als die Idee des Staats eben dies ist, daß in ihr der Gegensatz von dem Rechte als abstrakter Freiheit und vom erfüllenden besonderen Inhalte, dem Wohl, aufgehoben sei und die erste Anerkennung der Staaten (§ 331) auf sie als konkrete Ganze geht.
§ 337
Das substantielle Wohl des Staats ist sein Wohl als eines besonderen Staats in seinem bestimmten Interesse und Zustande und den ebenso eigentümlichen äußeren Umständen nebst dem besonderen Traktaten-Verhältnisse: die Regierung ist somit eine besondere Weisheit, nicht die allgemeine Vorsehung (vgl. § 324 Anm.) - so wie der Zweck im Verhältnisse zu anderen Staaten und das Prinzip für die Gerechtigkeit der Kriege und Traktate nicht ein allgemeiner (philanthropischer) Gedanke, sondern das wirklich gekränkte oder bedrohte Wohl in seiner bestimmten Besonderheit ist.
Es ist zu einer Zeit der Gegensatz von Moral und Politik und die Forderung, daß die zweite der ersten gemäß sei, viel besprochen worden. Hierbei gehört nur, darüber überhaupt zu bemerken, daß das Wohl eines Staats eine ganz andere Berechtigung hat als das Wohl des Einzelnen und die sittliche Substanz, der Staat, ihr Dasein, d. h. ihr Recht unmittelbar in einer nicht abstrakten, sondern in konkreter Existenz hat und daß nur diese konkrete Existenz, nicht einer der vielen für moralische Gebote gehaltenen allgemeinen Gedanken, Prinzip ihres Handelns und Benehmens sein kann. Die Ansicht von dem vermeintlichen Unrechte, das die Politik immer in diesem vermeintlichen Gegensatze haben soll, beruht noch vielmehr auf der Seichtigkeit der Vorstellungen von Moralität, von der Natur des Staats und dessen Verhältnisse zum moralischen Gesichtspunkte.
§ 338
Darin, daß die Staaten sich als solche gegenseitig anerkennen, bleibt auch im Kriege, dem Zustande der Rechtlosigkeit, der Gewalt und Zufälligkeit, ein Band, in welchem sie an und für sich seiend füreinander gelten, so daß im Kriege selbst der Krieg als ein Vorübergehensollendes bestimmt ist. Er enthält damit die völkerrechtliche Bestimmung, daß in ihm die Möglichkeit des Friedens erhalten, somit z. B. die Gesandten respektiert, und überhaupt, daß er nicht gegen die inneren Institutionen und das friedliche Familien- und Privatleben, nicht gegen die Privatpersonen geführt werde.
Zusatz. Die neueren Kriege werden daher menschlich geführt, und die Person ist nicht in Haß der Person gegenüber. Höchstens treten persönliche Feindseligkeiten bei Vorposten ein, aber in dem Heere als Heer ist die Feindschaft etwas Unbestimmtes, das gegen die Pflicht, die jeder an dem anderen achtet, zurücktritt.
§ 339
Sonst beruht das gegenseitige Verhalten im Kriege (z. B. daß Gefangene gemacht werden), und was im Frieden ein Staat den Angehörigen eines anderen an Rechten für den Privatverkehr einräumt usf., vornehmlich auf den Sitten der Nationen als der inneren unter allen Verhältnissen sich erhaltenden Allgemeinheit des Betragens.
Zusatz. Die europäischen Nationen bilden eine Familie nach dem allgemeinen Prinzipe ihrer Gesetzgebung, ihrer Sitten, ihrer Bildung, und so modifiziert sich hiernach das völkerrechtliche Betragen in einem Zustande, wo sonst das gegenseitige Zufügen von Übeln das Herrschende ist. Das Verhältnis von Staaten zu Staaten ist schwankend: es ist kein Prätor vorhanden, der da schlichtet; der höhere Prätor ist allein der allgemeine an und für sich seiende Geist, der Weltgeist.
§ 340
In das Verhältnis der Staaten gegeneinander, weil sie darin als besondere sind, fällt das höchst bewegte Spiel der inneren Besonderheit der Leidenschaften, Interessen, Zwecke, der Talente und Tugenden, der Gewalt, des Unrechts und der Laster wie der äußeren Zufälligkeit, in den größten Dimensionen der Erscheinung - ein Spiel, worin das sittliche Ganze selbst, die Selbständigkeit des Staats, der Zufälligkeit ausgesetzt wird. Die Prinzipien der Volksgeister sind um ihrer Besonderheit willen, in der sie als existierende Individuen ihre objektive Wirklichkeit und ihr Selbstbewußtsein haben, überhaupt beschränkte, und ihre Schicksale und Taten in ihrem Verhältnisse zueinander sind die erscheinende Dialektik der Endlichkeit dieser Geister, aus welcher der allgemeine Geist, der Geist der Welt, als unbeschränkt ebenso sich hervorbringt, als er es ist, der sein Recht - und sein Recht ist das allerhöchste - an ihnen in der Weltgeschichte, als dem Weltgerichte, ausübt.
Philosophie des Rechts
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